Schussgeräusche bei Kussszenen können atmosphärisch störend wirken
Generell tendiere ich dazu, in Formularen die Frage zur Religionsangehörigkeit mit „Taoist“ auszufüllen. Taoismus ist weitgehend ohne Brimborium, Götter, Päpste und doofes Gedöns; bösartiges oder auch nur nerviges Missionieren entfällt, dergleichen Pflichthungern, Sportbeten und Nettigkeitszumutung. Obschon uralt, ist der Taoismus eine elegante, nutzerfreundliche Religionsversion für Menschen, die schon alles haben, zum Beispiel alle Tassen im Schrank. Meine gute Oma (die doofe Oma war, glaub ich, Nazi) war schon Taoistin, ohne es freilich zu wissen. Widerfuhr einem Übles wie Windpocken, Liebesunheil oder Karriereknick, pflegte sie zu sagen: „Wer weiß, wozu das noch mal gut ist“, und das stimmte ja auch und deckt sich mit der taoistischen Einsicht, dass man als beschränktes Individum nie wissen kann, was beispielsweise ein Hals- oder Beinbruch oder so später noch Ersprießliches zeitigen kann. Vielleicht gründet man mit der eingipsenden Krankenschwester eine Familie und wird glücklich bis ans Lebensende.
Allerdings, auch Taoisten kennen Glaubenskrisen. Es gibt Dinge, wo die Möglichkeit, es könnte auch irgendwas Gutes daran sein, die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Aus den USA, wo solche Dinge meistens herkommen, meldet man mir, es würde jetzt daran gearbeitet, E-Books mit einer Geräuschefunktion auszustatten. Man muss sich das so vorstellen: Wenn im Buch steht: „Es klingt an der Tür“, dann, äh, ja, klingelt es auf der Geräuschespur an der Tür. Wenn in einem Krimi Schüsse fallen, macht es „Peng! Peng!“ Angeblich wird dabei die individuelle Lesegeschwindigkeit des jeweiligen Buchnutzers gemessen, damit es nicht an völlig falscher Stelle „Peng!“ oder „Klingeling“ macht, denn das könnte ja doch irritierend wirken; Schussgeräusche bei Kussszenen könnten atmosphärische Störungen auslösen.
Unter denen, die mir erklären können, wozu solche Soundtracks gut sein sollen, verlose ich eine Hör-CD von mir, wo ich rede und dazu passende Geräusche mache! Das einzige, was mir bisher einleuchtet: Bei Gesellschaftsromanen aus dem 19. Jahrhundert, von Jane Austen etwa, hört man, heißt es, an den passenden Stellen dann das Geklirr und Geklapper von Teetassen. Für das Jungvolk, das seine Latte-to-go nur noch aus Pappbechern schlürft, hätte dies einen bildungsbereichernden Effekt: Immerhin weiß man dann, wie es sich anhört, wenn man noch Tassen im Schrank hat.
Am Ende dieses Textes hörte man, wäre er mit Soundtrack, als Schlusstusch so ein Geräusch, wie es entsteht, wenn aus einem Ballon die Luft entweicht, ein leicht pfeifendes, schnurriges Furzen also, und das hätte, zugegeben, schon seinen Reiz…
This entry was posted on 29. August 2011 at 6:49 PM and is filed under Die Banalität des Blöden: Zur Semiologie des Alltags. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: E-Book, Innovationen, Soundtrack, Taoismus, Tassen im Schrank
You can comment below, or link to this permanent URL from your own site.
29. August 2011 um 6:54 PM
Bravo! Ich würd‘ ja gern mehr schreiben, allein, Lachtränen verschleiern mir den Blick… 😀
29. August 2011 um 7:29 PM
Heute sieht’s irgendwie nach Welt-Stalker-Tag aus, aber rotzdem noch ein Kommentar:
Diese CD muss ich haben! BTW: Was ist eigentlich aus den „acoustic sessions“ geworden? Ich fand die Dinger sowas von genial…
Als Ingenieur kann ich Dir auch beantworten warum so etwas entwickelt wird: Wir Ingenieure tun das, weil wir es können!. Außerdem bestätige ich hiermit das Vorurteil, dass Techniker meistens Fragen beantworten, die gar nicht gestellt wurden.
Aber auch die Frage nach dem „wozu“ kann ich beantworten. Als Kind der Generation Videorekorder habe ich meine ersten Erfahrungen mit den Thema Pornographie im schnellen Vorlauf gesammelt.
Dies geht mit Büchern bisher nur sehr schlecht, weil Querlesen einerseits schwer zu lernen und andererseits anstrengend ist. Mit akustischer Untermalung aber kann ich das Buch quasi vor sich hin lesen lassen und nebenbei etwas Sinnvolles tun (beispielsweise im TV „Die Alm“ gucken). Richtig lesen muss ich dann nur, wenn die Geräusche zeigen, dass etwas Interessantes (je nach Gusto) passiert.
Ist das nicht wunderbar effizient?
29. August 2011 um 7:39 PM
Eine unschlagbare Antwort: „Wir Ingenieure tun das, weil wir es können!“ Dabei hätte ich die CD auch sehr gerne gehabt. Zugegebenermaßen wüsste ich allerdings selbst keine zweit- oder drittbeste Antwort zuzusteuern.
Hören würde ich allerdings gerne einmal eine kongeniale Verlautbarung der kleinen Zugkatastrophe, die ich mir jüngstens für unseren kommenden Roman zusammengereimt habe.
29. August 2011 um 10:46 PM
@cbx: DAS WUSSTE ICH!! Gehört nicht die Tatsache, dass Ingenieure etwas tun, weil man es tun KANN, zu Murphy’s ewigen Gesetzen? – Die Effizienz leuchtet mir ein. Wer auf der Suche nach „Stellen“ ist, der hats mit Soundtrack einfacher. Nur: Wer liest denn in Zeiten der IT-Pornos noch erotische LITERATUR?
30. August 2011 um 2:44 PM
Na soll ich warten, bis „Schoßgebete“ verfilmt wird? Mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle?
Grusel…
29. August 2011 um 9:28 PM
Von Mao zu Tao konvertiert?
29. August 2011 um 10:44 PM
Yep. Lang lebe das Vorsitzende Tao!
30. August 2011 um 3:44 PM
cbx: Reese Witherspoon: zu alt?
30. August 2011 um 6:02 PM
Zu alt? die ist gerade mal 2 Jahre älter als Frau Roche.
Alternativ dazu: Sarah Kuttner. So als integriertes Mängelexemplar. Und jünger.
30. August 2011 um 7:54 PM
Ich schreibe dann wohl ein Buch über Gebärdensprache. Oder Leute mit Schweigegelübde.