Arabische Revolution, Sexismus, Macho wird wesbisch

Halblang: Gemeine Naddel (Fotoquelle Copyright: http://www.chili-balkon.de)
Das aktuelle Wort der Woche: Zwetschgenkuchenwespenplage. – Wer sich schon immer gefragt hat, für wen eigentlich diese trash news sind, die von Unterschichtsmedien wie SPON, Bild.de, ARD-„brisant“ oder ZDF-„Hallo Deutschland“ verbreitet werden – die sind für mich, die philosophierende Couch-Kartoffel, die seit ihrem vierten Lebensjahr ebenso gierig wie mechanisch alles wegliest, was ihr vor die Augen kommt. Klar, ich könnte mir an einem blanken Sommertag im Freibad auch mal wieder Kants „Kritik der reinen Vernunft“ vornehmen, oder, auch erregend, Hegels „Wissenschaft der Logik“, aber nein, heute widme ich mich der Revolution bei N. Abd El-Faraq. Das ist kein von libyschen Rebellen eingenommener Grenzort, sondern bloß eine etwas abgetakelte Medienschnalle, die mal was mit Dieter Bohlen hatte. Ihr Spitzname ist „Naddel“. Ob sie sonst noch was kann, weiß ich nicht. „Über mich“, lässt sie die Medien verbreiten, „hat sich viel Häme ergossen“. Mein Unbewusstes, ein fürchterlich pubertär unartiges Ding, das ich nie in den Griff kriege, posaunt mir blitzschnell, eh ich erzieherisch eingreifen kann, ein „Na, wird nicht nur Häme gewesen sein“ ins Bewusstsein. Das ist mir peinlich. Ich distanziere mich vom Sexismus meines Unbewussten!
So, nun rasch zu den breaking news. Frau Abd El-Fraraq hat „nach fünfzehn Jahren ihre Perücke abgenommen!“ (Beweisbilder überall im Netz) – und dies sei für sie „ein Befreiungsschlag“ gewesen. Eine neue Perle in der Kette der arabischen Revolutionen! Ich erkläre mich uneingeschränkt solidarisch! Wenn doch nur alle Frauen so mutig wären und ihre Perücke, oder wenigstens das Kopftuch ablegten! – Festzuhalten für das Lexikon der Zeitgeschichte ist, dass Frau Nadja „Naddel“ Abd E. jetzt wohl die einzige Frau ist, die dafür international-medial berühmt ist, „in Wirklichkeit halblange Haare zu haben“. Möge ihr das auf ihrem weiteren Lebensweg viel Schwung geben!
Über die besagte Zwetschgenkuchenwespenplage habe ich Innerfamiliäres zu berichten. Die Gattin, eigentlich beinhart pragmatisch und als Journalistin berufsbedingt ohne sentimentales Mitgefühl für z. B. meine (wirklich jetzt echt schlimmen!) Alterswehwehchen oder das sonstige Leid der Kreatur („la bella donna senza pietà“) berichtete beim Abendbrot von einem Ereignis, das an Bedeutung der Perücken-Sache nahe kommt: Ihr ist, als sie mit dem Wagen im Stau stand, eine solche Wespe ins Auto geflogen, sei gegen die Scheibe geknallt und habe sich offenbar, so die Gattin, „wohl eine Gehirnerschütterung zugezogen“. (Ich musste erstmal googeln, ob Wespen überhaupt ein Gehirn haben!) Dem folgte eine ergreifende pantomimische Darstellung der Verwirrung, Desorientiertheit und Bestürzung des Insekts, dergestalt, dass ich beinahe in Tränen ausbrach, denn so packend, dramatisch, ja, tragödienhaft ist mir die schmerzerfüllte Derangiertheit einer verunfallten Wespe bislang nie in die Seele gedrungen, ich schwör! Meine Liebe erblühte abermals frühlingshaft: Ich bin vielleicht der einzige glückliche Mann, dessen Gattin in einem Stummfilm mit Klavierbegleitung eine „Wespe mit Gehirnerschütterung“ darstellen könnte, auch wenn sie das natürlich leider nie tun würde, denn sie verschmäht medialen Ruhm.
Da ich geringfügig anders gestrickt bin als Herr Bohlen, der wohl zu den von Robert Walser so perhorreszierten „pomadisierten Gorillas“ gehört, freue ich mich überdies darüber, dass die Gattin keine Perücke trägt.
Über all diese beglückenden Nachrichten, Neuigkeiten und Gewissheiten fühle ich mich vitalisiert und verjüngt. Fast bin ich revolutioniert. Aber sich die dritten Zähne herauszunehmen, würde vermutlich nicht als Befreiungsschlag gewertet und in den Medien erwähnt werden, oder? Aber Männer-Befreiung ist eh eine andere Baustelle.
Was übrigens das Schicksal der demolierten Wespe angeht: Geleitet von einer vorbildlich buddhistischen Einstellung hat die Gattin – im Stau war Zeit genug – die arme Wespe therapiert, gesund gepflegt und nach geeigneten Reha-Maßnahmen in die Freiheit entlassen. Nie, wirklich nie werde ich die pantomimische Darstellung der Wiedererlangung des wespischen Bewusstseins vergessen!
Wer ihr, also der Wespe, nicht der Gattin, auf seinem Zwetschgenkuchen begegnet, begegne ihr mit Respekt. Sie hat, wie „Naddel“, viel durchgemacht. Ach, ach, wie ich die Frauen liebe! Man könnte fast wesbisch werden!
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21. August 2011 um 6:37 PM
Höchst geschätzter Bruder im Geiste, ich bin zugleich gerührt, ergriffen und verärgert. Du legst die beziehungstechnische Latte wieder einmal sehr hoch:
„Meine Liebe erblühte abermals frühlingshaft: Ich bin vielleicht der einzige glückliche Mann, dessen Gattin in einem Stummfilm mit Klavierbegleitung eine „Wespe mit Gehirnerschütterung“ darstellen könnte“
Ich hoffe und bete (nein, das wäre gelogen), dass mein Zentralgestirn diesen Post nicht liest, weil sie ansonsten auch derlei unbeschreiblich zärtliche, subtil-poetische Liebeserklärungen aus meinem spröd-mechanischen Ingenieursherz erwartet.
Nun ja – ich scheue (perhorresziere?) den Effekt, doch ich bewundere DeinenCode.
21. August 2011 um 10:21 PM
Ich finde schon den Ausdruck „Zentralgestirn“ beneidenswert poetisch…
21. August 2011 um 6:53 PM
Wäre es trotz, Deiner -von mir in Zweifel gezogenen- Altersbeschwerden doch möglich, den Begriff „wesbisch“ etwas näher zu erläutern. (Vielleicht Literatur-Nachweise).
Googeln half mir jetzt auch nicht unbedingt viel weiter: ´http://www.google.de/url?sa=t&source=web&cd=1&ved=0CBkQFjAA&url=http%3A%2F%2F6kraska6.wordpress.com%2F2011%2F08%2F21%2Farabische-revolution-sexismus-macho-wird-wesbisch%2F&rct=j&q=wesbisch&ei=nTdRTpL8A8X2sgbmr_mRAw&usg=AFQjCNE3KU34eR6d221Xd7rPTjhGju2yow&sig2=DS3MMZfprNTO2B-QSCvYlA&cad=rja
21. August 2011 um 10:20 PM
Wesbisch, schätz ich mal, ist eine Mischung (Kofferwort!) von weiblich und lesbisch, aber auch tailliert…
22. August 2011 um 2:20 PM
Du ziehst also in Erwägung tailliert zu werden?
22. August 2011 um 2:30 PM
@stroheim: DAS ziehe ich seit Jahren in Erwägung – es will mir nur nicht recht gelingen…
23. August 2011 um 9:43 AM
Ich perhorresziere die erwähnten Sendungen nicht. Nein, im Gegenteil: liefern sie doch ständig Material, mit dem sich arbeiten lässt. Der Durchschnittsblogger/-Blogleser (ich denke mal, die beiden Gruppen sind fast identisch) liest am liebsten Beiträge, die signalisieren: Ich bin nicht ganz so blöd wie der restliche Haufen. Nicht so beschränkt wir Günter Gurke und so depraviert wie Pernilla Petersilie.
Ein Essay über die Perhorreszenzen von Robert Walser würde wohl kaum Follower generieren.
Nanny Ogg von der Scheibenwelt macht übrigens recht ordentliche Wespenmarmelade. Nur mal am Rande.
23. August 2011 um 9:45 AM
Marmelade aus Wespen? Darf man das denn?
23. August 2011 um 9:52 AM
Wenn man eine alte Hexe ist, darf man alles. Sogar Charlotte Roche lesen.
Schmeckt übrigens ausgezeichnet, die Wespenmarmelade.
23. August 2011 um 9:56 AM
Wie Rattenpizza, oder?
23. August 2011 um 10:26 AM
Ja, oder Nagerquark.
23. August 2011 um 4:13 PM
Wesbische Wespen sind wenigstens nicht so laut wie Schmetterfinken.
Und wenn die Gattin demnächst pantomimt: Filmchen wären toll!
😉