Zu oberflächlich für gute Träume
Mein englisches Lieblingswort ist derzeit „weird“. Das vorab. – Jetzt was anderes: Wie ich aus dem Fernseh (wo auch sonst her?) erfuhr, gibt es in unserem Land ein Bundessortenamt, worin sich hochspezialisierte Spezialexperten unter anderem um die züchterische Sortenreinheit von Schnittblumen kümmern. So löblich und beruhigend ich das finde – wer stellt sich schon gern gengepanschte Blumenplagiate in die Vase! –, so bedauerlich und fragwürdig finde ich, warum es dann nicht auch ein Bundestraumamt gibt, wo man sich man mal beschweren könnte, wenn man fast ausschließlich von phantasielosen, grottenlangweiligen und dramaturgisch stümperhaften Träumen ohne Sinn und Pointe heimgesucht wird.
Meine Träume sind meistenteils derart öde, dass ich dabei einschlafe, worauf der fade Striemel, anders als wenn man vorm Fernseher einschläft, leider unerbittlich von vorne beginnt. Ich hab schon überlegt, ob ich es mal mit Drogen versuche, aber andererseits, wo nichts ist, kann auch Chemie nichts rausholen, oder? Auf mich trifft ein Satz zu, den ich mal in einem Film gehört habe: „Tief im Inneren bin ich wahrscheinlich total oberflächlich“. Sonst würde ich doch von futuristischen finnischen Städten träumen, von einbeinigen Zwergen mit hohem, spitzen Hut, von Barockkantaten singenden Kastratentunten, von Einrad fahrenden Riesenweibern, blutüberströmten Christussen und allerhand handkolorierter, phantastisch-surrealer Zirzensik!
Stattdessen verdinge ich mich im Traum als Profifußballer in einem Drittligaverein, und zwar als Torhüter, was für einen Traum schon mal ein selten dämlicher Anfang ist, wenn man Fußball nur aus dem Fernsehen kennt und im Leben noch nicht einen einzigen Ball gefangen hat! Schon im Traum wurde mir deswegen bänglich und ich behalf mich nur notdürftig mit der im Wachleben oft praktizierten Einsicht, dass man, wenn man von was keine Ahnung hat, dann halt eben improvisieren muss. Schon stand ich in der Anfangsformation, angetan mit einem kanariengelben Trikot, welches das Verstecken auf dem Rasengrün gründlich verunmöglichte, an den Händen zudem unförmig riesige Handschuhe, in denen ich meine Finger nicht fühlen konnte. Dann ging es schon auf den Platz. Der freilich war, typisch Traum, extrem unübersichtlich und erstreckte sich über mehrere Kilometer unwegsames Gelände. Er begann mit dem gegnerischen Tor auf einem asphaltierten Schulhof und führte quer durch Brachland bis an den Stadtrand, wo ich frierend, hungrig und deplaziert in meinem „Kasten“ auf den Angriff wartete, der aber nicht erfolgte.
Ich kürze ab: Es waren Stunden vergangenen, ehe der feindliche Sturm vor meinem Vororttor auftauchte, und sie semmelten mir, der ich steif gefroren, unterfordert und unbeschäftigt herumstand, umstandslos den Ball ins Tor. Ich hechtete sinnlos in eine große Pfütze kalten Schlamms und erntete von den Rängen Hohn und Spott. Noch im Traum dachte ich: „Mist!“ und „Ich wusste doch, dass ich das nicht kann!“, aber die Schmach war bereits geschehen und ich auf die Knochen blamiert…
Wie gern würde ich mal aus einem Traum künstlerisch inspiriert, emotional gestärkt, metaphysisch getröstet oder wenigstens sexuell befriedigt erwachen, aber nein, meine Träume unterscheiden sich nicht vom realen Leben, das einem unerbittlich die eigene Unzulänglichkeit offenbart. Ich träume bloß, was ich auch sonst bin: Ein Hochstapler, der nicht kann, was er soll und sich für etwas hält, was er nicht ist. Durchschnitt, mit anderen Worten. Ich meine, ich habe keine persönliche Traumtheorie, aber sind Träume nicht dazu da, das läppische Alltagsleben zu kompensieren, anstatt es zu verdoppeln? Warum soll ich ins Bett gehen, schlafen, träumen, wenn ich nachts genau so ein Alltagsmensch bin wie sonst auch?
This entry was posted on 23. Juli 2011 at 1:07 PM and is filed under Die Banalität des Blöden: Zur Semiologie des Alltags. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Bundessortenamt, Fernsehen, Lieblingsworte, Oberflächlichkeit, Profi-Fußball, Schnittblumen, Traum, Traumtheorie, weird
You can comment below, or link to this permanent URL from your own site.
6. August 2011 um 1:07 AM
Klarer Fall von Oneirophobie…
14. August 2011 um 8:45 PM
Vor dem Traum-Ende steht ein Torhüter. Zu diesem Torhüter kommt hinterrücks ein Mann und bittet um Austritt aus dem Traum. Aber der Torhüter sagt, daß er ihm jetzt den Austritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später den Traum werde verlassen dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Torhüter, »jetzt aber nicht.«
15. August 2011 um 2:41 PM
@thomas: Tja, wär schön, wenn Kafka nicht nur ins Kino, sondern auch auf den Fußballplatz gegangen wäre…
15. August 2011 um 6:43 PM
Ich glaube nicht, dass das wirklich wünschenswert wäre. Über Generationen hinweg hätten die Spieler/Trainer, die ein Buch richtig herum halten können, uns mit Zitatschnipseln ihre humanistische Bildung beweisen wollen. Widerlich! Und dann die ganzen (Auto-)Biographien. „Als Michael Ballack eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Mittelfeldspieler verwandelt.“ Nein, nein, an diesem Punkt wollen wir die Geschichte lieber einmal nicht umschreiben.
15. August 2011 um 6:45 PM
Ooch, ich weiß nicht. So ein schöner Ball(ack)-Krimi? – „Jemand musste B. verleumdet haben…“