Über das Halten von Meinungen


Meinungslos und vollbeschäftigt: Der Magister wandelt im Beruf des Nichts-Tuns

„Bei uns auf Kummerland, der Insel der unruhigen Seelen und unzufriedenen Seligen, herrscht Beschäftigungsnotstand. Die Zeit ist aus den Fugen und allzu verfügbar. Sabattikalisten, Dauerrentner, Langzeitpausierer, ausgebrannte Beamte: Wie die nur zähflüssig verrinnende Lebenszeit hinbringen? Süße Sahne des Überdrusses, fade Suppe des Ennui. Gewiss, man kann französische Bulldoggen mit immer größeren Fledermausohren züchten und versuchen, ihnen das echolotgesteuerte Fliegen beizubringen, man kann kennerisch provençalische Rohmilchweine sammeln, mollige Wollschweinwolle zu drolligen Pullovern verstricken oder beflissen sein Lebensrisiko durch das Ausprobieren bizarrer Trendsportarten erhöhen. Ob aber topmodische Übersprungshandlungen die Spanne auch bis zum Exitus ausfüllen?

Ein nostalgischer Trend gewinnt hier neues Interesse: Das Halten von Meinungen. Meinungen sind fröhliche, vitale Hausgenossen. Das Leben mit ihnen beugt wirksam Alterserscheinungen vor – Selbstzweifel, Ironismus, Differenzierungssucht werden nachweisbar reduziert! Gesunde, bereits stubenreine Meinungswelpen bekommt man am besten bei renommierten Züchtern (Süddeutsche, FR, taz, ZEIT, F.A.Z.-Feuilleton), aber dann geht’s erstmal zur Meinungsschule. Grundkommandos („links!“, „rechts“, „Fortschritt!“) müssen gelernt und eine Charakterprüfung („politcal-correctness“-Siegel) abgelegt werden. Gut erzogene Meinungen reagieren auf Stich- und Reizworte, haben einen guten Jagdinstinkt, was Abweichler angeht, und heben durch ihre nie erlahmende Beißfreude die Laune ihrer Besitzer. Amerikanische Forscher haben nachgewiesen, dass Meinungen in der Lage sind, Komplexität zu reduzieren, Ich-Schwäche abzubauen und resignative Tendenzen („Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen!“, Shakespeare, Hamlet) aufzuhalten.

Mancher jung gebliebene Senior will das Herumtollen mit seinen Meinungen gegen keine andere Lebenslustbarkeit mehr eintauschen (Aber bitte daran denken: Kleinere „Hinterlassenschaften“ [z. B. In Leserbrief- und Kommentar-Spalten] werden selbstverständlich diskret entfernt!). Besser als jeder Blindenhund gibt eine Meinung Orientierung und Halt im Chaos des Daseins, sorgt im unaufgeräumten Denkhaushalt wieder für Stabilität und Redundanz, fördert Gemeinschaftsgefühle und verhilft zu mehr Selbstbestätigung, die gerade der älter werdende Körper benötigt…“ –

– so in etwa träumte mir am frühen Morgen ein Artikel in der Apotheken-Rundschau oder wo. Aus solch dumpfer Wirrnis erwachte ich nur unvollständig und in der vagen Furcht, auch bei mir hätten sich vielleicht Meinungen niedergelassen. Offenbar war das aber nicht der Fall. Aufatmend versenkte ich mich beim Morgenkaffee in das XIX. Buch der esoterischen Schriften des Dschuang Dsi, wo es heißt: „Der Philosoph sprach: ‚Habt Ihr denn noch nicht vernommen, wie der höchste Mann sein Leben führt? Er vergisst seinen Leib und kümmert sich nicht um seine Sinne. Ziellos schwebt er jenseits des Staubes der Welt und wandelt im Beruf des Nichts-Tuns.’“ Sich in diesem Beruf vervollkommnen sei das höchste Ziel! – Meine Meinung!

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3 Kommentare - “Über das Halten von Meinungen”

  1. /cbx Says:

    Ach Du glücklicher Philosoph im Zustand des aktiv meinungslosen Nichts-Tuns. Ich hingegen, armer Inschenjör und Schef, lebe im permanenten Zustand des passiv meinungslosen Nicht-Tuns (sic!).

    Dauernd wollen irgendwelche Leute meine Meinung zu irgend etwas haben, wie soll ich mir da je eine eigene halten können? Und weil schließlich ein jeder mit meiner Meinung abzieht, bleibt am Ende keine mehr für mich übrig. Und deshalb kann ich, was auch immer ich will nicht tun, weil ich mich ja mangels Meinung gar nicht mehr entscheiden kann, irgend etwas zu tun.

    Und jetzt Du, Magister!

  2. 6kraska6 Says:

    Aaaalso, Herr Ingenieur, nachdem ich wegen Dir eigens die exoterischen wie die esoterischen Schriften des Daoismus noch einmal zurate gezogen habe, komme ich zu dem Schluß: Du bist kurz vor der Vollendung des „höchsten Menschen“! Wie sagt der weise alte Lehrer: „Was ist aktiv? Was ist passiv? Im Nichts-Tun und Nichts-Meinen sowie im Nichts-Woillen vereinigt sich das Gegensätzliche. Einwilligen in das Nichts ist aber das Höchste!“ – Du mit Deiner China-Erfahrung (wegen der ich überhaupt auf Deinen Blog geraten bin), weißt schon das meiste! Jetzt gilt es nur noch, angesichts der täglichen Nachrichten, zu aaaathhhmen. Ein, Halten, Auuuuuus, Halten, Eiiiiinn… – Wie Dschuang Dsi noch sagt: „Unendlich fern und doch nahe grüßen sich die Weisen von den Berggipfeln.“

  3. staatsdiener Says:

    Einwilligen ins Nichts…


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