Warum immer Sonnenbrillen? Der Phänotyp des Bösen
Woran erkennt man einen Serienkiller? Laut Aussagen der fassungslosen Nachbarn zumeist daran, dass er überhaupt nicht wie einer aussah. Einen guten Bankräuber erkennt man indes daran, dass man sich an sein Aussehen par tout nicht erinnern kann. Woher weiß man aber, dass man einem Diktator gegenübersteht? Das ist einfach. Diktatoren tragen immer Sonnenbrillen. Warum tun sie das? Sei es, dass sie nicht erkannt werden möchten, wenn sie ihr zusammengeklautes Geld von Schweizer Nummernkonten abheben, sei es, weil sie das Elend des eigenen Volkes nicht mit ungeschützten Augen mit ansehen können. Manche Diktatoren kombinieren die Sonnenbrille mit dem Hemd einer Beduinen-Tunte; andere tragen nachtblaue Mafioso-Anzüge von Brioni und maskieren sich mit brutalen Allerweltsfressen, denen man lieber nicht im Dunklen begegnen möchte. Dr. Hannibal „the cannibal“ Lecter trug das Gesicht von Sir Anthony Hopkins, was furchteinflößend genug war. Wieder andere Tyrannen verstecken sich hinter arabischen Namen, die sich kein Sau merken kann.
Früher war alles einfacher. Adolf Hitler war eine Marke, schon wegen der scheußlichen Frisur, dem absurden Bärtchen und den durchfall-farbenen Uniformen. Stalin erkannte jedes Kind an seinem tabakgelben Georgier-Schnauz und den verschlagenen Trinker-Augen; Massenmörder Maos Vollmondgesicht wurde durch die berühmte Pickel-Warze kenntlich. Gegenbeispiel: Pol Pot. Wer mag da am Computer ein Fahndungsfoto erstellen? Der könnte sich theoretisch, wenn er nicht tot wäre (ist er doch, oder?), vom deutschen Geheimdienstnetzwerk beschützt, ein Haus an der Elbchaussee kaufen und keiner würde ihn erkennen. Noch raffinierter: Die KZ-Schnalle und Mädchen-Schinderin Heidi Klum: Ihre umoperierte Allerweltsnase und das Quietsche-Entchen-Organ machen sie unbeschreiblich. Kurzum: Das Böse hat viele Gesichter.
Nur wenige kennt man aus dem ff bzw. TV: Jörg Kachelmann, Guido Westerwelle, Frank Elsner, Stefan Raab, Karl Moik, Gaddafi oder Phillip Rösner, der sich allerdings unter einer albern grinsenden Asiaten-Maske verbirgt. Wie es scheint, hat die ehrwürdige Wissenschaft der Physiognomik auf ganzer Linie versagt. Das Anerbieten, aus angewachsenen Ohrläppchen oder Hakennasen Substantielles über den Charakter eines Menschen zu schließen, wird nur noch selten gemacht. Inzwischen regieren wieder Geschmack und Sympathie. Es liegt mir fern, einen Gefallenen noch zu schubsen, aber ich habe nie verstanden, warum Karl Theodor zu Guttenberg bis vor ein paar Wochen (so ändert sich die Optik!) in den Medien immer einhellig als gut, ja „blendend“ aussehend bezeichnet wurde. Also von da, wo ich gucke, hatte er immer schon eine ausgesprochen brutale Hackfresse. Jetzt freilich sieht er immer vergrätzter, mauliger, frisch geohrfeigter und wie von Mutti beim Onanieren erwischt aus.
Gleichviel, auf welche sexuelle Orientierung ich mich gerade kaprizierte, ihn hätte ich auf jeden Fall immer „von der Bettkante geschubst“. Sagt man so noch? Von der Bettkante geschubst? – Wirklich gut aussehend, also das war für mich Osama bin Laden! Woran man mein physiognomisches Unvermögen erkenen kann. Und wenn ich mir meine eigene Nase anschaue, die ich auch gern in meine eigene PhotoBooth-Kamera hänge – na, die Hand würd ich für mich auch nicht gerade ins Feuer legen…
This entry was posted on 11. Mai 2011 at 10:05 PM and is filed under Die Banalität des Blöden: Zur Semiologie des Alltags. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: das Böse, Diktator, Diktatoren, Frank Elsner, Gaddafi, Guido Westerwelle, Hannibal Lector, Heidi Klum, Jörg Kachelmann, Karl Moik, Kim Yong Il, Kraska, Maske des Bösen, Masken, Phänotyp, Physiognomie, Serienkiller, Sonnenbrille
You can comment below, or link to this permanent URL from your own site.
11. Mai 2011 um 10:42 PM
Also nach diesem schonungslosen Selbstportrait habe ich mir soeben selbst die Absolution für mein T-Shirt-Foto erteilt…
Hab Dank, geschätzter Magister!
12. Mai 2011 um 10:51 AM
Sei getröstet: Semi-Diktatoren sind allerhöchstens halb so schlimm.
(Aber im Ernst: was ist dieser Brille zugestoßen? Und noch ernster: Wo um Himmels willen gräbt man solche Diktatorenfotoserien aus wie die von Dingsbums Il? Da hat doch eine Abteilung für Öfffentlichkeitsarbeit laut schnarchend gepennt –?)
12. Mai 2011 um 11:02 AM
Im Internet gibt es eigens eine Seite („Kim Jong Il looking at things), wo diese bescheuerten Fotos gesammelt werden – Kim guckt auf Fisch, Obst, Gummistiefel, BHs, Wein, Zuckerwatte etc. Höchst erheiternd!
12. Mai 2011 um 12:45 PM
Ich bin fasziniert, vor allem von den Leuten, die den Diktator beim Gucken unterstützen, und von dem Staatsparka …
Bislang kannte ich nur die Seite »KTzuG besucht Dinge«, die es aber leider, leider nicht mehr gibt. Z.B. KT mit aufgeblasenen Backen: »… einen Tauchkurs.«
12. Mai 2011 um 2:11 PM
Nicht nur, dass Diktatoren sie tragen, sie diktiert auch selbst : „Ich werde von einer Schönheit getragen!“ – wenn sieins Haupthaar hochgeschoben daher kommt, am treffendsten, wenn die dazu gehörenden Augen durch eine normale Brille schauen.