Dem Führer wird es zu blöd. Nix Anpassung


Reden, wie der Schnabel gewachsen ist

Heute in der serbischen Stammkneipe. Komme wie immer zu spät, hab die ersten Runden Diebels oder Warsteiner verpasst. Am Stammtisch ist Schalke gegen Milano schon durch, es herrscht bereits Religionskrieg. Oh, Allah, dicke Lufthoheit! „Bismallah ah-Rahman i-rahim“, sage ich höflich, klopfe auf den Tisch und grüße brav „Selam-aleikum“. Ich bin halt so erzogen. Immer höflich, kommt von Mutti. Sportrentner Horst ist aber schon auf höchster Krakeelstufe. „Aaaannn-passsn solln die sich! Aannpass-ssen!“ – „Wer denn? Was denn jetzt? Woran denn?“ versuche ich die Tagesordnung zu eruieren. „Na, die scheiß Türken!“ brüllt Horst, und zeigt erbittert auf seinen serbisch-montenegrinischen Herzensfreund Branko. Wie sich nach einigen Gläsern Wein (vino bjelo), mit denen ich mich einzugrooven versuche, herausstellt, Horst möchte gern, dass unsere Muslime hier Schweinefleisch essen, „weil das numaa unsre Regeln sind“, greint er pampig. – „Horst“, rüge ich milde, „du bist doch noch nicht mal Christ! Also blas hier die Backen nicht so auf!“ – „Anpassen oder rausschmeißen!“ insistiert der Sportrentner bockig, der eigentlich, nüchtern, ein herzensguter Mensch ist und noch nicht mal wirklich Ausländerfeind. Der Alkohol hat ihm irgendwie die Koordinaten verknotet.

 Horst stiert mich wütend an und versetzt: „Proff! Du hast von nix ne Ahnung!“ Ich schlucke das zunächst, wie alles, was man mir in dieser Kneipe vorsetzt (obwohl ich bei selbstgebranntem, mit dem Bus aus der Heimat [„Ch’aimath“] hergeschmuggelten Slibo inzwischen mädchenhaft zimperlich geworden bin). Eigentlich hatte ich die Chancen des MSV Duisburg beim Pokal-Endspiel diskutieren wollen, aber hilft nichts, der Integrationsmagister ist jetzt gefragt.

Ich formuliere ein paar wohlgesetzte Worte über religiöse Toleranz, werde aber von Horst direkt volley niedergebrüllt. „Der Türke“, beharrt er und macht eine weit ausholende Geste in Richtung der überwiegend serbisch-orthodoxen oder bosnisch-liberalmuslimischen Gäste, „der Türke“ sei ein „Sozialschmarotzer“. Und seine besondere Dreistigkeit sei, kein Schweinefleisch zu essen, obwohl er sich vom deutschen Staat durchfüttern ließe. Ich gebe zu, über diese logische Komplikation einen Moment lang nachgedacht zu haben, gab dann aber zu Protokoll, mir persönlich sei es völlig gleichgültig, was ein Mensch äße oder nicht; ich zum Beispiel verschmähte geröstete Kakerlaken und gegrillte Meerschweinchen, hielte mich deswegen aber nicht gleich für einen besseren Menschen. Zum Beispiel möge ich auch keinen Spinat, würde aber von niemandem verlangen, meine Abneigung gegen dieses köstliche, vitaminreiche Blattgemüse zu teilen. Geschweige denn, dass ich darauf eine Religion gründen möchte.

 „Außerdem: Was haben wir denn davon“, versuche ich es mit der gewaltfreien Kraft des Arguments (Habermas), „wenn der Türke jetzt Schweinefleisch isst?“„… unn die ganzen Zigeuner!“ trumpft der Sportrentner auf und gerät in Rage. „Alle rausschmeißen!“ – Ich gebe, um die Redundanz des Diskurses durch Bildungselemente aufzulockern, zu bedenken, dass diese Leute meines Wissens weder Muslime seien noch Schweinefleisch verschmähten. „Anpassn!“ beharrt Horst, „oder ehm raus hier!“ – „Wie denn anpassen, alter Mann“, frage ich, langsam etwas auf Krawall gebürstet, den Schweinefleisch-Fundamentalisten, „solln die sich auch die Haare blondieren wie du?“ – Nebenbei fällt mir auf, wenn der Sportrentner sich die Fusselfrisur schwarz färben würde, hätte er frappierende Ähnlichkeit mit Muammar al-Gaddafi, und ich kann mir nicht verkneifen, ihm (also Horst) das mitzuteilen.

 Weil man am Stammtisch deshalb nun auch lebhaft über „Egüppten“  und „Lübien“ redet und dabei Mubarak und Gaddafi ständig verwechselt, mache ich zur Güte den Vorschlag, nach 22.00 Uhr am Stammtisch evtl. die Sachgebiete Religion und Politik besser auszuklammern, vergeblich natürlich, weil, man hält mich als „Prof“, „Magister“ und „Lehrer“ zwar in gewissen Ehren, hört mir aber trotzdem nicht zu. Im Gegenteil, nach dem 20. Bier schlingert Horsts Blick ins Visionäre. „Ich grünne ne Paatei!“ verkündet er der vorwiegend aus „Ausländern“ bestehenden Runde charismatisch, fixiert mich dann plötzlich mit verliebtem Blick und donnert: „Unn du, Proff, wirst unser Führer!“ – „Horst“, repliziere ich maliziös, „ich glaube, die Partei, die dir vorschwebt, gibt es schon“, und ergänze, ich sei indes weder geneigt, deren „Führer“ noch auch der irgendeiner anderen Partei werden zu wollen und mache mich dann auf den kurzen Heimweg, was ich mit einem knappen, aber konzisen „Das wird mir jetzt zu blöd hier!“ begründe.

Freund Branko, der in Erfüllung seiner Wirts-Pflicht, stumm brütend dabeigesessen hat, macht eine halb bedauernde, halb resignierte Geste. Seine Form von Islam ist von der fatalistischen Sorte und besteht im wesentlichen darin, seine Kinder sonntags zum Hodscha zu schicken, „damit die da Anstand kriegen“. –

Der Sportrentner aber hat das letzte Wort: „Typisch den Proff, eyh. Wennas ma kons… kons…trucktief wird, hauter ab!“

Werbung
Explore posts in the same categories: Die Banalität des Blöden: Zur Semiologie des Alltags, In the ghetto, Integrationsimpressionen

Schlagwörter: , , , , , , , , , ,

You can comment below, or link to this permanent URL from your own site.

6 Kommentare - “Dem Führer wird es zu blöd. Nix Anpassung”

  1. ottogang Says:

    Habs mir grad mal bildlich vorgestellt, wie Horsti da herumnölt, bist schon wirlich mittendrin ins Leben, mein lieber Prof, geh ruhig mal raus, so hin und wieder.

  2. 6kraska6 Says:

    Tja, Otto, das Leben! Als gelernter Philosoph hab ichs ja gar nicht so mit dem Leben. Aber wo willst Du erörtern, ob der MSV mit 8:0 untergeht oder, die Hoffnung stirbt zuletzt, „der Ball ehmt rund ist“?

  3. joulupukki Says:

    Ich bewundere deinen Mut. Stammtischprediger lösen bei mir die größten Urängste aus, reinste Panikattacken krieg ich da. Am schlimmsten in Kombination mit Fußball, wenngleich Herr Dr. Wassily da schon veritable therapeutische Erfolge erzielen konnte 🙂

  4. 6kraska6 Says:

    Ooch, Mut gehört nicht unbedingt dazu. Man muss zwischen den Verwirrten und den richtig Bösartigen unterscheiden.In Kneipen wird halt viel dummes Zeug geredet. Die Praxis – auch im Falle von „Sportrentner Horst“ – sieht ganz anders aus…

  5. stroheim Says:

    Wahrscheinlich wurde es irgendwo schon mal erklärt, aber ich habe es leider nicht präsent. Was ein Horst ist, weiß ich, aber was ist eigentlich ein Sportrentner?

  6. 6kraska6 Says:

    Tja. Da ich das Wort erfunden habe, muss ichs wohl irgendwie definieren: Ein Sportrentner ist ein besonders rüstiger, muskulös-sportlicher älterer Mann im Rentnerstand, der einen großen Teil seiner Zeit damit verbringt, Sportsendungen im Bezahlfernsehen zu sehen, Sportwetten zu platzieren undSporthosen zu tragen.


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s


%d Bloggern gefällt das: