Grundfragen der Philosophie: Das Tao der Leergutentsorgung


Demütigend: Trinksünden nach Farben sortieren...

„Mein lieber Kraska“, verabschiedet mich mein langjähriger Hausarzt, „und vergessen Sie nicht: viel trinken!“ Neben „viel Bewegung“ ist dies auch der Rat der „Apothekerzeitung“ („SeniorenBravo“), die ich dann und wann durchblättere. So weit gut und gerne befolgt. Auch Atomkraftwerke liefern ja zunächst mal viel Wärme. Ähnlich wie bei der Nutzung nuklearer Energie fällt jedoch beim Trinken problematische Materie an, deren Entsorgung eine Herausforderung darstellt. Beim Trinken ist dies das sog. Leergut. In ontologischer Hinsicht zerfällt Leergut rasch in zwei Gruppen: das moralisch wie ästhetisch brisante Glasflaschen-Leergut und die harmlosen, ja unter Umständen kleine Freuden versprechenden PET-Mehrwegbehältnisse. Beide Rückstandsformen lassen sich zunächst in Zwischenlagern (Küchenunterbauschrank, Balkon, Terasse), äh, zwischenlagern.

Die Besichtigung solcher Zwischenlager bei Freunden ist oft eine Quelle persönlichkeitsstruktureller Erkenntnisse. So habe ich einen zur Monomanie neigenden Bekannten, der eine ganze Armada immer gleicher Absinth-Flaschen sein eigen nennt, deren systematische nächtliche Entleerung er durch soldatisch aufgereihtes Leergut gewissenhaft dokumentiert. Irgendwann aber ist das Lager mit Leergut voll überfüllt. Der sentimentale Stolz und die zärtliche Rührung, die Flaschenstapler angesichts ihrer Sammlung empfinden mögen, wird von der Gattin, der Putzfrau usw. möglicherweise nicht geteilt. Dann schreit das gläserne Tagebuch nach Entsorgung.

Wie demütigend und moralisch niederdrückend kann diese empfunden werden! Da trabt oder radelt man dann, mit Reisetaschen und LIDL-Tüten voller grell scheppernder, schrill klirrender Flaschen beladen zum öffentlichen Flaschen-Container-Ensemble und muss in übel beleumdeter Gegend gleichsam coram publico mit hochrotem Kopf die keineswegs stummen Zeugen des eigenen Alkohol-Missbrauchs auch noch in Weiß-, Braun- und Grünglas sortieren und sich wie unbeteiligten Passanten dabei die Ungeheuerlichkeit eigener, in letzter Zeit stattgehabter Enthemmung offen legen. – Selbst die ethnologisch interessante Tatsache, dass es Volksgruppen im Geddo gibt, die auch erblindete Fernseher, Computer-Geraffel und sogar kaputte Toaster (!) taxinomisch dem Flaschen-Leergut zuordnen, kann nicht hinreichend erheitern. – Wie oft kehrt man mit leeren Tüten, aber tränenvollen Augen, mit guten Vorsätzen geschwängert, in sein Heim zurück, wo ein leer geräumter Balkon seinen Besitzer höhnisch mit den Folgen prospektiver Abstinenz vertraut macht!

Beginnende Leergutsammlung beim Magister (mediterran orientierter Genusstyp)

Wie schön, wie gemütserhebend und aufbauend hingegen das entsorgsame Verbringen luftig-leichter PET-Flaschen zum Leergutautomaten! Prall gefüllte Tüten demonstrieren hier nicht Lasterhaftigkeit, sondern vorbildliches Gesundheitstun. Schaut her, ich bin ein enormer Wassertrinker, Saftkonsument oder, in meinem Falle, wenigstens Verbraucher von zig Hektolitern Cola light! Beschwingt betritt man, enorm aufgeplusterte Saftsäcke schwenkend, das liebenswürdige Entsorgungshäuschen beim Discounter. Gern reiht man sich in die Warteschlange und beobachtet schmunzelnd, wie exotisch-esoterische Mitbürger so hartnäckig wie vergeblich versuchen, Eckiges (Tetrapack, Kanister, Toaster) ins Runde zu pfriemeln, weil sie die Betriebsanleitung des eigentlich idiotensicheren Schluckautomaten nicht mitgeschnitten kriegen. Ei, wie erheiternd die Freude, dass man selbst zumindest seine Muttersprache Denglish beherrscht! Kostenlos fühlt man sich erhoben und geborgen im Heimatlichen.

Dann endlich steht man vor dem elektronischen Schluckspecht und füttert ihn gekonnt (Barcode muss immer nach oben zeigen!), immer hinein, Flasche um Flasche in den blinkenden, surrenden und rödelnden Schlund. Der dankt es durch hervorragendes, reibungsloses Funktionieren. Kein Stau, kein „Flasche nicht erkannt“ auf dem Display. Man hat ja daheim vorsortiert! Man bedient sich des Automaten, in dem man ihn bedient, und kann dabei noch über Metaphysisches meditieren, denn was wir sehen, ist nur das Diesseits des Leergutautomaten; das Jenseits bleibt uns wie immer verborgen. Was sind wir? Wo gehen wir hin? Was wird aus uns da? – so mag sich bang auch eine leere Flasche fragen, die, wie der Patient in den Tomographen, in die mysteriöse Röhre geschoben wird. – Nun, das Jenseits ist ein großer Raum, in dem man von seinen individuellen Eigenschaften befreit (ent-etikettiert) wird, dann wird man auf das bisschen Substanz zusammengepresst, das man als Flüssigkeitsbehälter mal darstellte und schließlich wird man neuerlicher Verwendung im kosmischen Kreislauf der Materie zugeführt. Also, als Taoist kann man damit leben. Den anderen Dummies erzählt man halt, die Flasche würde im Jenseits wieder „aufgeweckt“ und somit „auferstehen“, um dann als Flaschengeist- oder Engel im Leeguthimmel herumzuwimmeln…

Auch moralphilosophisch ist die automatische Leergutentsorgung eine mehrwertvolle Übung – bekommt man doch auch noch sündenentlastendes Pfandgeld zugeschrieben und kann dieses sogar, für Christen interessant, die vielleicht was zu büßen haben, per Knopfdruck spenden. Mit leeren Taschen und vollem Herzen trollt man sich, insgleichen gewissensrein und seelenstark im Bewusstsein, nicht nur auf, sondern auch für das öffentliche Wohl getrunken zu haben. Die kleinen Freuden des Alltags – es sind gar nicht wenige, wenn man sie nur zu finden versteht.

Vollautomatischer Schluckspecht: Ein Stück schöner Moderne

Das Jenseits: Zutritt verboten!

 

 

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7 Kommentare - “Grundfragen der Philosophie: Das Tao der Leergutentsorgung”

  1. /cbx Says:

    Danke, Magister für diese Beleerung! Nie wieder werde ich eine Leergutrückgabe ohne tiefschürfend transzendente Gedanken durchführen können. So vermute ich, dass diese Tätigkeit zur Vermeidung trübseliger Tiefsinnigkeit meinerseits fürderhin von meinem liebsten – aber dem Transzendenten weniger zugewandten – Zentralgestirn erledigt werden muss.

    Und hier noch ein „f“, das ich im letzten Kommentar meiner alten Heimatstadt unterschlagen habe.

    „f“

    Die dortige Wengeter-Genossenschaft hebt übrigens auf ihre Flaschen einen Pfand von knapp 2 Cent ein, sodass man mit einem Eselskarren voll Flaschen am Automaten vorfährt und sich Stunden später mit einer Hand voll Kleingeld weinend von dannen schleppt…

  2. 6kraska6 Says:

    Danke für das „f“. Ich bau es ein. (Ein „f“ einbauen werd ich ja wohl ohne Ingenieursstudium noch schaffen…)

  3. Nimrod der Jäger Says:

    o tempora, o mores

    Wo sind sie hin, die guten, alten Zeiten?

    Und die deutlichen Beweise
    warn zehn leere Flaschen Wein
    Und zehn leere Flaschen können schnell
    zehn Mollis sein.

  4. Lakritze Says:

    Ob ich bedauern sollte, daß mir als fröhlicher Leitungswassertrinkerin derartige Läuterungen entgehen?

  5. 6kraska6 Says:

    Du trinkst NUR Leitungswasser? Ist das nicht schädlich?

  6. oachkatz Says:

    Begeistert. Und noch nicht entschieden habend, ob die Flaschen-Container im hausanlageneigenen HInterhof besser sind. Vorteil: kurze Wege, und es bleibt quasi in der Familie. Nachteil: die Mitwisser sind nicht ganz so anonym…


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