Der Deutsche ist ein großes Kaninchen auf der Welt


Sofort abschalten!

„Der Mensch“ sei, so schrieb einst Nobelpreisträgerin Hertha Müller, eine rumänische Redensart zitierend, „ein großer Fasan auf der Welt“. Mir hat das schon immer irgendwie eingeleuchtet. Der Deutsche, erlaube ich mir, zu ergänzen, ist hingegen eher ein enormes Kaninchen. Das Volk der Jod-Tablettenkäufer, Knut-Betrauerer und Panik-Bürger hat eine zarte, empfindsame Seele. Furchtsam zitternd wittert es in alle Richtungen, hektisch schnuppert, twittert und tickert es sich Gefahren zu, hoppelt im Zickzack, sucht manisch nach Rettung, und fürchtet sich depressiv furchtbar vor dem Tod. Das Böse lauert ja überall. Apokalyptische Reiter: Grippe, Atom, Klon, Dioxin, Islam und was noch alles! Anderen geht das auf den Sack, uns unter die Haut. Nie bekommen wir mal, was wir so dringend benötigen: Ruhe. Unserer Kernkompetenz, Mümmeln und Rammeln, können wir nur noch marginal nachkommen, denn wir brauchen erstmal INFORMATIONEN. Mit aufgestellten Löffeln gieren wir nach Aktualität: Wo müssen wir hin oder weg, Ausschüsse bilden oder Menschenketten knüpfen, Sachen boykottieren, Vorsichtsmaßnahmen ergreifen? Man kann doch nie wissen! Was, verdammt, dürfen wir denn noch essen? Wenn da nun Atom drinne ist oder Gene? Vegetarier dürfen doch keine Gene essen!

Selbst das ziellose Hoppeln wird zum Problem. Wir hängen am Tropf medialer Aktualität. Raserei des blinden Augenblicks. Aktualität ist für das Kaninchen das, was bedrohlicherweise gerade passiert, aber nicht zu begreifen ist. Die online-Medien antworten mit dem liveticker, dem „Wahlfolgen-Ticker“ (!), „Eilmeldungen“ und breaking news sowie jetzt, neuerdings in SPIEGELonline, dem „Minutenprotokoll“.  Mindestens minütlich müssen wir ja wissen, woher der Wind weht und was Böses oder Schmutziges er für kleine Nagetiere bringt. Wir brauchen Frühwarn-, nein, sogar Brühwarm-Systeme! Sonst bleibt keine Zeit mehr fürs Wegducken. Andere Nationen grinsen und spötteln über die German Angst. Aber die sind auch keine Kaninchen, oder, um dass Personal des Kinderbuchklassikers „Winnie te Pooh“ zu zitieren, Ferkel. Ferkel ist ein etwas großmäuliges, aber extrem furchtsames Tierchen. Als es zur Jagd auf den rein imaginären „Heffalumpp“ geht, sorgt sich Ferkel nicht darum, was ein „Heffalumpp“ überhaupt ist, sondern grübelt bloß: „Ist es auch gut mit Ferkeln?

Manchmal zwickt die Medien der Übermut, und sie ziehen auf die Straße, um ihr Publikum zu veralbern. So fragten kürzlich ZDF-Reporter in der Einkaufszone, was die Leute denn jetzt von der Braunschweiger Atom-Uhr hielten. Eine gut gekleidete, eher bildungsbürgerlich wirkende Dame, von der German Angst schon ganz grau-grämlich, greinte in die Kamera: „Ja, die muss man jetzt wohl auch abschalten…“ – Wenn ihr mich fragt: DAS ist deutsch!

PS:  Vielleicht trage ich zur Kalmierung der Bevölkerung bei, wenn ich desalarmierend beruhige: Die Gefahr einer Kernschmelze besteht bei der Braunschweiger Atom-Uhr kaum. Sie abzuschalten empföhle sich ohnehin nicht. Für Länder ohne natürliche Zeit-Ressourcen ist Atom-Zeit leider unverzichtbar, sonst bleiben irgendwann die Kuckucksuhren stehen, Eier könnten nicht mehr auf den Punkt gegart werden und alle verschlafen. Auch erneuerbare Quellen wie Sand- und Sonnenuhren können den enormen Zeit-Bedarf einer modernen Industrie-Nation nicht decken!

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4 Kommentare - “Der Deutsche ist ein großes Kaninchen auf der Welt”

  1. /cbx Says:

    Herr Magister! („Herr Dr. Klöbner!“) Soll ich mich jetzt ein bissl von Ihnen angebiselt fühlen? Ich bin doch gar nicht deutsch. Und trotzdem habe ich mir die mich allerorts umgebende Angst schon zu eigen gemacht.

    Was mir weit mehr Angst macht als die allgemeine Ängstlichkeit, ist die daraus resultierende Angstüberflutung, die unweigerlich zur Angstinflation führt. Und dann weiß keiner mehr, wenn er wirklich mal Angst haben soll. Das macht mir Angst!

    Nein, so schlimm ist es noch nicht. Ich kenne auch hier sehr viele angstferne Menschen (auch hier im Gschäft), die auch bei der Fehlersuche in der Elektronik sagen: „Gib mal richtig Strom drauf, wenn’s erst raucht, sieht man die Problemstelle gleich viel leichter“

    Und schleißlich bauen wir ja keine Atomkraftwerke.

  2. 6kraska6 Says:

    „Angebiselt“? I woas net exakt, woas dös bedeutet. Aber gehns, Herr Inscheniör! Wenn ICH mich in Nuklearsachen korrekt und informiert gruseln will, les ich schon seit langen statt Spiegel und n-tv allmorgendlich Ihren werten Blog! Den ich hiermit wärmstens weiter empfehle!

  3. Chris Irwin Says:

    365 Tage sind es heute seitdem meine Frau Ihre Diagnose bekam.
    Brustkrebs.
    Wie wohl all diese Volltrottel reagieren würden wenn man sagt:
    „So. Bitte unterschreiben. „Ich verzichte auf jegliche nukleare/radiologische Behandlung und erkläre mich dazu bereit Händchen-haltend, Birkenstock-tanzend und Wellness-Heilkrautfressend meine alternative-Kur zu finden (im Interesse des Volkes).
    Darwin „Survival of the fittest“…(non-survival of the most stupid?)
    Übrigens, nachdem ich im Schnitt 1 Std. am Tag über die letzten 3 Wochen im Krankenhaus verbracht habe brauche ich dringend Infos darüber, welchen Gefahren (Infektion, Bestrahlung, Parkgebühren usw.) ich ggf. aussgesetzt war. Soll ich meinen Hausarzt befragen oder gibt es auch andere super-aktuelle Spezi-Info Quellen?

  4. Oublier Says:

    @Chris
    Mit Brustkrebs kenne ich mich nicht aus, habe gerade nur 2 Fälle von Bauchspeicheldrüsenkrebs und einen Fall von Lungenkrebs erlebt.
    In meinem bisherigem Leben war ich immer wieder mit Krebserkrankungen konfrontiert und stelle mich auf die Hinterbeine was die Bahandlungen angeht.
    2 der Krebskranken Bekannten leben noch, sie haben sich geweigert behandelt zu werden.
    Die Anderen sind tot!
    Mein Schwiegervater, an Leukemie erkrankt wurde wieder gesund, keine Anzeichen mehr, allerdings starb er an den Strahlen, auf Dauer keine Chance!
    Man kann keine Diagnose stellen was Krebs angeht, weder an die Hinterbliebenen, noch an die noch Kämpfenden, man kann sich nur wünschen, dass die Politiker die sich damit abgeben human sind!


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