Trotzdem. Deprimiert im Paradies
Manchmal, angesichts gewisser Nachrichtenlagen, schäme ich mich für mein entbehrliches Verbrauchergeschwätz in paradise county. Ich meine, mein Gott! Libyen brennt, der Sudan hungert und in Japan droht der Katastrophen-Overkill – und was mache ich? Mich über die fehlende Aromatisierung eines Kaffees in einem x-beliebigen Frühstückscafé ereifern? Wirke ich nicht wie ein Idiot, ein ignoranter Stoffel? Doch, doch, unvermeidlich. Der Globus fliegt uns gerade um die Ohren, und ich habe nichts Besseres zu tun, als Ciabatta-Beläge zu bewerten! Bin ich noch zu retten? Wahrscheinlich nicht. Ich bin ein Décadent, ein überflüssiger Genussdandy, ein menschenverachtender Zyniker, ein Trivialitäten-Bestauner! Tut mir leid. Nach Menschheitstragödien heißt es immer: Das Leben geht weiter. Und wer ist schuld? Wir Banalitäten-Bastler.
Andererseits hab ich seit früher Kindheit das Gefühl, das Elend der Welt zwänge mich nicht automatisch dazu, alles, was mir widerfährt, gut zu finden, nur weil es allen anderen noch viel schlechter geht. Eine stehende, oft wiederholte Redensart meiner Mutti, wenn ich meine verkochte Spinat-Pampe mal wieder nicht essen wollte, lautete, dass hungernde Kinder in Indien froh wären, wenn sie meinen Spinat essen dürften. Für die Antwort, darüber wäre ich auch froh, bekam ich regelmäßig eine geschallert. Diese nicht restlos gewaltfreie Erziehung hat mich übrigens nicht zu einem besseren Menschen gemacht, ich bin bloß wehleidiger geworden.
Aber mal realistisch: Was genau soll ich machen, um mich nicht wie ein Depp zu fühlen? Ich bin weder Erdbebenhelfer noch TV-„Atom-Experte“, und was eine Kernschmelze ist, musste ich sogar erst googeln. Also geh ich bloß Kaffee trinken, zwänge mir appetitlos ein, zwei Ciabatta rein, puste fassungslos in meinen Milchkaffee und starre auf die Schlagzeilen der ausliegenden Tagespresse. Ich bin deprimiert, aber das ist normal, das kann ich nicht mal auf Erdbeben, Tsunamis und Nuklearkatastrophen schieben. Und auf das Café erst recht nicht, das ist ganz gut. Ich wäre selbst in Xanadu deprimiert oder unter resp. auf 72 Jungfrauen. Apropos: Überfordert bin ich auch. Die Gleichzeitigkeit des Unvergleichbaren macht mich krank. Zehntausende verrecken im Schlamm, Tausende werden vom eigenen Diktator bombardiert, am Nebentisch quatschen eine MILF und drei mittelhohe Töchter über Modekram und ich trink gemütlich Kaffee und überlege, ob ich noch so ein leckeres Ciabatta mit frischem Rührei bestellen soll. It’s a wonderful world. Jetzt bloß nicht larmoyant werden und in die Tasse weinen, denn der Kaffee ist eh schon nicht übermäßig stark. Das Leben geht weiter.
Deswegen ist jetzt auch aus der „Mokka-Bar“ das „Lu-cafe.de“ geworden; die Leitung ist nicht mehr polnisch, sondern italo. Meinetwegen gerne. Es gibt schmackhafte Ciabatta, mittags auch Pasta & Co. Die Karte klingt appetitlich. Die Kaffee-Spezialitäten können mit denen des „Fino“ am Salvatorweg nicht ganz mithalten, sind aber immerhin trinkbar und ziemlich preiswert. Bequeme Sitzgelegenheiten gibt es noch immer keine, aber was zählt das schon angesichts einer halben Million Obdachloser in Japan. Man mahnt sich zu Bescheidenheit. Den neuen Betreibern wünsch ich Glück und Erfolg. Cafés, in denen man ungestört vor sich hin deprimieren darf, kann es nie genug geben.
Oder fast ungestört. Beim Warten am Tresen sagt jemand hinter mir: „Hallo!“ – „Hallo!“ antworte ich reflexhaft. Darauf der Mann hinter mir hochnäselnd: „SIE habe ich nicht gemeint!“ – „Egal“, hör ich mich sagen, „…trotzdem!“ – Ich hoffe, ihm wird das zu denken geben. Den Tag mit einem „trotzdem“ im Frühstückscafé zu beginnen, schien mir im nachhinein eine gute Idee.
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Schlagwörter: Bescheidenheit, Café, deprimiert, Duisburg, Frühstück, Geschwätz, Japan, Katastrophe, Kernschmelze, Libyen, lu-cafe.de, Mode, Nuklearkatastrophe, Paradies, Sudan, Tagespresse, Trivialität, trotzdem, Tsunamie
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13. März 2011 um 2:57 PM
Trotzdem. Ein wohgesetztes Wort, lieber Magister. Dieser Post hat mich mehr bewegt als hunderte Meldungen und Kommentare (auch meine eigenen) in den letzten Tagen. Gerade habe ich mein Zentralgestirn nach einer längeren Reise vom Flughafen abgeholt und bin einfach sehr glücklich, sie wieder an meiner Seite zu wissen. Trotzdem. Und jetzt ohne seltsames Beigefühl.
Danke für dieses sanfte Zurechtrücken meiner Prioritäten.
13. März 2011 um 3:05 PM
Du wirst es nicht glauben: Bevor ich überhaupt etwas geschrieben habe, habe ich bei amadyne „die stimme der vernunft“ cbx geguckt, was der zum Thema zu sagen hat. Dann hab ich mich erst getraut…
13. März 2011 um 3:11 PM
*rotwerd*
Dann haben wir uns ja mal wieder gegenseitig geholfen. Eine (achtung Heißluft:) Win-Win-Situation.
Ach ja, würdest Du bitte meinen Doppelkommentar wegmoderieren? Sieht ja peinlich danach aus, als könnte ich nicht mit meinem K0mpu7e3r umgehen…
14. März 2011 um 10:18 AM
Da hat der Meister doch meine nicht reflektierten Gefühle und herumwabernden Gedankenfetzen der letzten Tage in gut lesbare Sätze gepackt. Hab Dank dafür.
14. März 2011 um 10:53 AM
hatte gestern ein ähnliches erlebnis in unserer wg, das mir die abgebrühtheit meiner verwöhnten existenz vor augen führte, als die 16 jährige Mitbewohnerin mit ihren Freundinnen aufgeregt die Lage in Japan kommentierten. da fiel unter anderem der satz „wahnsinn! und WIR erleben das ALLES mit!“. und ich dachte mir ‚was meinen die denn jetzt?‘, und als ich verstand, dass es um die Katastrophe in Japan geht, meinte ich nur „in einem monat kräht kein hahn mehr danach, zumindest nicht, bevor die nukleare wolke budapest erreicht“. die mädels sahen mich nur verblüfft an und dann schämte ich mich angesichts meiner gefühlskälte und erinnerte mich an meine eigene verzweiflung als junges mädchen, als tschernobyl in die luft flog und ich den kopf noch voller the day after bilder hatte. irgendwo auf dem weg von damals ins jetzt hab ich eine ganze menge empfindsamkeit verloren. tut weniger weh, macht aber auch mehr tot.
14. März 2011 um 11:03 AM
„Tut weniger weh, macht aber mehr tot“ – was für ein schöner Satz! Von Dirß
14. März 2011 um 5:05 PM
Man kann aber nicht immer alles weh tun lassen. Abgesehen davon hast Du recht.
14. März 2011 um 11:32 AM
Ja, das hast Du schön geschrieben, Herr Magister und die Jou, die auch aber ich Blödi habe mir das Hirn zermartert, was den ein MILF sein soll.
Kann mich mal jemand aufklären ?
14. März 2011 um 11:33 AM
Das kannst Du mit einem Klick googeln…
14. März 2011 um 5:09 PM
Lovely expression…nach meinem Verständnis eher die Perspektive des überheblich-ignoranten Jünglings transportierend, frage ich mich, wie alt war die Dame denn, wenn Du sie als „Mom“ definierst?
14. März 2011 um 5:13 PM
43 Jahre, neun Monate.
14. März 2011 um 5:14 PM
Aber macht doch nicht so viel Aufhebens von diesem Akronym, darum geht der Text doch gar nicht! Der Ausdruck war rein deskriptiv gemeint…
14. März 2011 um 5:17 PM
Näheres zum Thema „MILF“ steht übrigens hier:
https://6kraska6.wordpress.com/2009/05/21/herr-willemsen-frau-klum-milfs-und-farbige-klebetapes/
24. März 2014 um 6:56 AM
GenauDas
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Trolle Teil 1
14. März 2014 admin Hinterlasse einen Kommentar
Es war einmal vor langer Zeit, als die Gletscher zu schmelzen begannen und sich einen Weg Talwärts bannten und Fjorde entstanden. Zu dieser Zeit erwachten die Trolle in ihren Höhlen tief oben in den Bergen. Viele Hunderte von Jahren hatten sie tief und fest geschlafen, gefangen durch einen Fluch, der sie in einem Traum ohne Ende gefangen hielt. Damals, das war die Zeit als es noch den ewigen Winter gab, dunkel, ohne Sonne, nur eisige bittere Kälte.
Eine Gruppe Trolle, die einen langen Weg aus Lappland hinter sich hatte, wollte ein kleines Feuer machen um sich zu wärmen. Sie hatten das wenige Holz gesammelt das sie finden konnten und hielten ihre steifgefrorenen Hände über das knisternde Feuer.
Plötzlich begann die Erde zu beben, Felsbrocken lösten sich, Steinlawinen polterten an den Trollen vorbei und eine donnernd tiefe Stimme war zu vernehmen.
„Wer wagt es hier Licht zu machen und mich in meinem Schlaf zu stören? Ich der einzige Finstertroll verfluche euch, so sollt ihr so lange tief schlafen und in euren Träumen gefangen bleiben, bis das ewige Eis schmilzt.“
Die Trolle erschraken so sehr, dass sie sich in die nächsten Höhlen flüchteten die sie finden konnten, dort versanken sie sofort in einen tiefen Schlaf, dem sogleich auch Träume folgten, aus denen sie nicht erwachen konnten. Viele Jahre wurde von ihnen nichts mehr gesehen, was man von ihnen hörte, war ihr Schnarchen, was jeder, der es hörte für Gewittergrollen hielt.
Alle tausend Jahre findet auf der Welt eine Versammlung der Glühwürmchen statt. Der König der Glühwürmchen möchte wissen wie viele Untertanen er hat. Zu dieser Zählung wurden alle Glühwürmchen aus der ganzen Welt geladen. In diesem Jahr sollte sie in Skandinavien stattfinden.
Aus allen Teilen der Erde bereiteten sich die Gühwürmchen auf den langen Weg vor und machten sich auf den Weg.
Die Ersten die nicht so eine lange Reise vor sich hatten, waren schon sehr früh vor Ort. Die Dunkelheit die herrschte wurde ab und zu durch ein leichtes aber immer stärker werdendes Glimmen erhellt.
Immer mehr dieser leuchtenden kleinen Flugtiere kamen zusammen, Hunderte, Tausende, Millionen und Milliarden, unzählbar. Es wurde immer Heller, der Himmel erstrahlte in einem Rausch aus Farben in allen Tönen und Nuancen.
Der Schnee und das ewige Eis bekamen Tränen vor so viel Schönheit das sich ihnen bot, ihre Seele fing an zu schmelzen. Sie ließen ihre festgefrorenen Tränen einfach los.
Aus den Tränen wurde ein kleines Rinnsal, aus dem Rinnsal ein kleiner Wasserlauf, der schließlich in einem Sturzbach Richtung Tal stürzte, alles mit sich riss und so die Fjorde entstehen lies.
Nicht nur das Eis und der Schnee waren von so einer Farbenpracht fasziniert, da gab es noch Jemanden, zwar noch etwas blinzelnd, dann aber ganz erwacht. Sie fing an zu lächeln, dann zu strahlen, ihr Name war Sonne und sie durchbrach die Dunkelheit und gab der Welt das Licht zurück.
Grolletroll kratzte sich an der Nase, eine große Nase, eine ganz besonders große Nase, die fürchterlich juckte, so sehr juckte, dass er einfach niesen musste. Dieses Niesen hatte die Lautstärke von einem Grollen, nicht umsonst war sein Name Grolletroll.
Snarketroll und Ullatrulla wurden mit einem Schlage wach, als sie sich aufrichteten, schlugen sie mit ihren Köpfen gegeneinander. Snarketroll sank ohnmächtig zurück, fing sofort wieder zu schnarchen an und schlief. Ullatrulla stöhnte nur, überlegte, ob sie noch träumte oder schon wach war, fasste sich an die Stirn und spürte eine dicke Beule. Sie fragte sich ob der Alptraum nun vorbei war oder erst anfing.
So langsam erwachten die Trolle, Trullas und Trullen, eins nach dem anderen. Trolle waren die Männchen, Trullas die Weibchen, die nur Trollinchen genannt wurden, wenn ein Troll besonders um sie warb.
Trullen waren die Art von Trollen, bei dem niemand wusste ob sie nun männlich oder weiblich waren. Manche von ihnen hatten auch Trollkinder, aber die waren meist geklaut oder gekauft.
(Als endlich Alle wach waren und sich um das neu entzündete Lagerfeuer versammelt hatten, stellte sich der Gammeltroll vor ihnen auf. Gammel bedeutet alt, nicht gammelig, nur ein bischen vielleicht. Der Gammeltroll ist der Älteste bei den Trollen, hat die meiste Erfahrung und hat etwas zu sagen. Die Meisten hören auf ihn, aber meistens dann doch nicht.)
Riechtnetdolltroll hatte sich neben Motztrulla gestellt und grinste sie an, die jedoch verzog angewidert ihr Gesicht und rümpfte die Nase, sein ekelhafter Gestank raubte ihr den Atem. Mit der Hygiene stand dieser Gnom nicht gerade auf gutem Fuß. Wieso konnte er nicht wie alle anderen am Morgen auf Wildschweinjagd gehen. Ein Biss und schon waren die Zähne schön sauber. Die Wildschweinborsten reinigten die Beisserchen besser als jede Zahnbürste. Nun, sie würde ihm das noch sagen, aber die Neugierde auf die Ansprache des Gammeltrolls war größer als ihre Wut auf Riechtnetdoll.
Ich habe geträumt, die Welt hat sich verändert begann der älteste aller Tolle, nichts wird mehr sein wie es war, wir sind in einem neuen Zeitalter angekommen. Alles was ihr kennt gibt es so nicht mehr. Die Menschen haben unser Paradies entdeckt und rücken nun immer weiter in unser geliebtes Land vor.
Ein Murmeln ging durch die Trollmenge, plötzlich redeten alle durcheinander und jeder Einzelne schien sich plötzlich an Träume erinnern zu können. Eine angstvolle beklemmende Stimmung machte sich bemerkbar.
Tollatroll zwirbelte sich aufgeregt an den Nasenhaaren, das tat er immer wenn er nervös wurde und sich noch nicht rasiert hatte. Seine Fischgräte war bei dem langen Winterschlaf verloren gegangen und so wuchsen nicht nur die Haare aus seiner Nase sondern wucherten auch aus den Ohren, wie Hollunderbüsche.
DunkelheitEisErdeFeuerFischgrätenGletscherGlühwürmchenHaaareHöhleHollunderbüscheHolzLapplandLichtNaseOhrenReiseSchlafSchnarchenSonneStimmungTräumeTrolleWeltWildschweinWinterZahnbürsteZeitalter
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