Idiosynkratische Hünxe (Altersfreibeitrag)
– Für Gabel –
Mein zertifiziertes Magistertum erlaubt mir, mit Wörtern herumzuschmeißen, die mich automatisch zum Mittelpunkt jeder Party machen. Ein schon paradiesvogelartiges Flair verleiht zum Beispiel der Ausdruck „idiosynkratisch“. Seinen faszinierenden Bedeutungsreichtum offenbart dieses Wort gern allen Fleißsternchen-Sammlern, die das mal irgendwo googeln. – Unter anderem nennt man zum Exempel wiederum Ausdrücke „idiosynkratisch“, die einer Privatsprache Würze und Glanz verschaffen. Unsere privatsprachlich kommunizierende eheliche Sprach-Zugewinngemeinschaft bereicherte die Gattin gestern im Bonner„arco“ durch ein neues Wort. Es heißt „Hünxe“.
„Hünxe, Hünxe … – ist das nicht so’n Ort oder was?“ fragen aufgeweckte Leserinnen. Ja schon, auch, – doch in unserem Fall setzte sich das Wort aus den Komponenten „Hüfte“ und „Haxen“ zusammen und bezeichnete eine im unnatürlich gezickten Super-Model-Gang daherstiefelnde, langbeinig einen blasierten Hüftschwung pflegende Kellnerinnen-Blondine, deren mittelhochnäsiger Gesichtsausdruck darauf hindeutete, dass es sich evtl. um eine Eigentlichkeitsschnepfe handeln mochte. Dies sind Personal-Personen, die mit jeder Geste, Miene und Bewegung zum Ausdruck bringen, dass sie „eigentlich“ gar keine Kellnerinnen sind, sondern eben in Wirklichkeit Super-Model, Stewardess-Prinzessin oder wenigstens Kunstgeschichtsstudentin im 3. Semester.
Als lebenszerknitterte Gebrauchtmenschen und Falten-Rocker, die wir schon vom Senioren-Tellerchen nippen und sich den Cocktail im Schnabeltässchen bringen lassen, trieben wir den Altersdurchschnitt von Personal und Publikum der schnieke, aber sympathisch gestalteten Lokalität drastisch in die Höhe. Hinterm Tresen und im Service schien mir, meinem subjektiven Eindruck nach, überhaupt niemand mehr über 21 zu sein; allesamt blutjung-bildhübsche, angenehm „unverschrumpelte“ (Max Goldt) Exemplare der Generation „Irgendwas-mit-Medien“! Uns wurde das fällige Absackerchen nicht von der Hünxe, sondern von einer zuckersüßen, ätherisch-zarten Milchzahnfee serviert, die überdies eine frappierende Ähnlichkeit mit Fräulein Emma Watson aufwies, dieser entzückenden ehemaligen Kinderdarstellerin und nunmehrig schon fast erwachsenen Jung-Actrice aus den Harry-Potter-Filmen („Hermine“)! – Berückend!
Das den Laden frequentierende Jungvolk bestand indes fast ausnahmslos aus auffallend gesitteten, neuerdings zu Recht das Abitur besitzenden, adrett gewandteten Seiten- und Mittelscheiteln, die mitteleuropäisch urban (d. h. hübsch zimmerlautstark, zierlich-zivilisiert und kashmir-brav) miteinander plauderten, dazu permanent nichtrauchten und Alkohol nur in homöopathischen Dosen konsumierten. An den in Verbraucherschutzartikeln gelegentlich bemängelten Sitzgelegenheiten schienen sie nichts auszusetzen zu haben, sondern besetzten diese mit Nonchalance und tanzstundenerprobter Gewandtheit. – Ach, was für ein Unterschied zu den verqualmten, zugemüllten und mit Rock-Musik vollgedröhnten Laster- und Drogenhöhlen, in denen unsereins seine Jugend verbrachte bzw. verschwendete! Ehrlich: Hätte ich Nachwuchs, der noch einer gewissen pädagogischen Aufsicht und Betreuung bedürftig bzw. zugänglich wäre, ich wäre beruhigt, wenn sie den Abend bzw. Lebensmorgen in einer Lokalität wie dieser verbrächten. Meinetwegen dürften sie dort sogar kellnern – vielleicht würden sie ja „entdeckt“!
Wir selbst freilich retirierten, um die Jugend mal unter sich sein zu lassen, dann doch lieber ins nahe gelegene Hotel, wo wir Senioren residierten; zum Ausgang humpelnd, registrierten wir noch die Tatsache, für die stolzgewachsene kühle Blonde berechtigterweise Luft zu sein. Nun ja, ab einem gewissen Alter gewöhnt man sich daran, unsichtbar zu sein. – „Pah! … Hünxe!“ schnaubte die Gattin, und ich verstand sie ohne weiteres.
This entry was posted on 12. Dezember 2010 at 5:58 PM and is filed under Aus dem Kulturbeutel älterer Jugendlicher, Aus meinem Qype-Kästchen. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Altersdurchschnitt, arco, Bar, Bonn, Emma Watson, Gabel, Gattin, Harry-Potter-Filme, Hünxe, idiosynkratisch, Privatsprache, Senioren, Supermodel
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12. Dezember 2010 um 6:32 PM
Wie war es denn mit dem kassieren ? Hat sich die Hünxe dazu herabgelassen ? Oder wurde das großzügig von Emma Watson erledigt ?
Deine Wortschöpfungen wären schon merkenswert, aber meine lebenszerknitterten Falten sinde des Merkens nicht mehr fähig.
12. Dezember 2010 um 6:32 PM
Da fühlt man gerade die ersten Tropfen vom Oberwasser ins angeschlagene Selbstbild einträufeln, glaubt sich in der Beherrschung der mütter- wie väterlicherseits so nicht gesprochenen Hochsprache einigermaßen gefestigt – schon kommt der Magister und tänzelt mit der luftigen Leichtigkeit eines leeren Muggesäckeles ein mal quer über das erweiterte Vocabularium, schüttelt anstrengungslos die Inventionen ins elektrische Papier und all meine Hybris ist zerschmettert, alles für’n Arsch.
Das studium philosophiae scheint der Wortgewandtheit doch förderlicher zu sein als das Superponieren statischer Spannungspotenziale nach den ungelenken Versen des Herrn Kirchhoff.
Großer Meister, wieder einmal durfte ich eines großen Sprachgenusses teilhaftig werden. Aus Eurer Tastung wird auch noch der subtilste Verriss zum opulenten Neuronenschmaus.
Habt Dank für dieses Erlebnis und Dank auch der Gemahlin für die so plastische Erschaffung der Hünxe!
12. Dezember 2010 um 6:41 PM
@/cbx: Lieben Dank für den schmeichelhaften Kommentar! Du könntest evtl. aber mein vocabularium bereichern, indem Du mir gelegentlich mitteiltest, was ein „Muggesäckele“ ist, noch dazu ein leeres?
12. Dezember 2010 um 6:56 PM
Nur zu gerne, werter Magister. In meiner schwäbischen Wahlheimat wird dies als die gequantelte Minimaleinheit für Masse oder Länge verwendet.
Etymologisch dürfte der Ausdruck vom (in dieser Form wohl nicht wirklich vorhandenen) primären Geschlechtsmerkmal der männlichen Mücke abstammen.
A Muggesäckele bezeichnet somit eine extrem kleine Menge. So beispielsweise im Maschinenbau (=>Schwaben halt): „Die Passung isch a muggesäggele z’eng“
Und wenn ich schon am Dozieren bin: In meiner Tiroler Geburtsheimat verwendet man den äquivalenten Begriff „Muggnbeidei“ („Beidei“ => „Beutelchen“).
12. Dezember 2010 um 7:06 PM
… und da sag einer, man könne im Internetz nichts lernen! Danke für das schöne und (für mich) neue Wort! Muggesäggele! Sehr, sehr anschaulich, das Schwäbische. Vor allem die Anwendung der Metapher im Maschinenbauwesen hats mir angetan.
Ich revanchiere mich mit dem deutsch-polnisch-jiddischen Verb „verkascheln“. Erzählt mir ein polnischer Stahlarbeiter von seinem Meister, der darauf besteht, eine Zeichnung mit falschen Maßangaben zu realisieren. Janosch darauf: „Nu, Maisterr, Zaichnung is gutt – aber hast dich um ainen Meterr verkaschelt!“
13. Dezember 2010 um 8:41 PM
Magister! Magister! Einen hab‘ ich noch. Wenn Euch wahrhaft am Eintauchen ins Schwäbische gelegen ist, so habe ich da ein Werkzeug für Euch: Es heißt „BURBLE“ und ist ein automatischer Übersetzer.
Wenn Du vertrauensvoll diesen Link anklickst:
http://www.burble.de/schwaebisch/https://6kraska6.wordpress.com
und dann den PISA-Test für Magister mit Hang zum Analphabetismus löst, so wirst Du den Schwaben in Dir erkennen. Garantiert unschädlich aber extrem lehrreich!
Das ist Ingenieursmagie…
14. Dezember 2010 um 12:28 AM
Hätte nie gedacht, kommunziere könne mit Inschenjör. Habbe immer gemeint, Inscheniör doppellplusungut und nich geeignet fir Gesprek mit Geistlichwissenschaftle. Vorurteil futsch. Nu hab ich kennen gelernt Inscheniör wo mache bei Scherze nich gleich traurige Mund. Bin ich fast glicklich.
14. Dezember 2010 um 12:32 AM
-… weil: Komishe Sinn für Humor dachtich, is nixe fir Inscheniör. Der mache nur Messe, Zähle und Zusammenrechne. Dachtich fast, Inscheniör meistens doof, kann ja sein. CBX ist auch Inscheniör, aber komishe, weil nix doof. Wie kommt? Ratlos: Magistere Kraska.