Über die innere Übersichtlichkeit unserer Nutztiere. Mongolen-Könige kaufen in Dinslaken!
Bei einem privaten Gänseessen, auf dem wildfremde Leute halt notgedrungen miteinander reden mussten, kam irgendwann natürlich die unvermeidliche Frage auf: „Und was machst du so beruflich?“ – Eine eigentlich enorm indezente und überdies uninteressante Gesprächseröffnung, die selten zu funkelnden Highlights der Konversation führt, denn die meisten machen eh halt „irgendwas mit Medien“, und wenn nicht, wie in meinem Fall, bekommt man nur nebulöse Auskünfte, die in die Irre führen. Mein durch reichlichen Gans- und Rotwein-Genuss schon auf wattig-beduseltes Aufmerksamkeitsniveau herabgesunkenes und dort träge herumdümpelndes Gemüt bekam jedoch einen erfrischenden Kick, als meine charmante junge Tischbarin kundgab, sie sei jüngst von der gemeinen „Eigenbestandsbesamerin“ zur „amtlich zertifizierten Besamungstechnikerin“ aufgestiegen. Das groovt ja nun eindeutig mehr als das Geständnis, man sei „Philosophielehrer für ältere Erwachsene“, oder? – „Sind das nicht“, frug ich rotwangig animiert und durch RTL2-Reportagen vorgebildet, „nicht so Leute, die sich einen blauen Müllsack über den Arm stülpen, um dann hinterrücks schultertief in Kühen herumzustochern?“ – „Pferde“, konterte die zierliche Mitgästin daraufhin lakonisch, „ich mach es nur bei Pferden“. Als kostenfreie Dreingabe bekam ich hierzu die fortbildende Mitteilung, Pferde seien „innen viel übersichtlicher und auch hygienischer“ als Kühe, eine Information, die mir nicht weniger schwer verdaulich vorkam als die servierten Gänsekeulen. Meine stark angefackelte Wissbegierde wurde leider nicht weiter befriedigt, weil andere Gastmahlsteilnehmer das sich anbahnende Gespräch als „bei Tisch nicht appetitfördernd“ abbzubrechen befahlen. „Aber wieso denn..?“ versuchte ich noch zu protestieren, „das ist doch ganz … äh … natürlich!“, wurde aber mit einem Gläschen Wodka abgefertigt und ruhig gestellt. Halb träumerisch begann die mit Rotwein begattete innere Spieldose meines unübersichtlichen Gehirns bereits ein spekulativ angelegtes Traktat zu formulieren, das den barocken Titel tragen sollte: „Über die innere Übersichtlichkeit größerer Haus- und Nutztiere“…
Übersichtlicher als der Komplettvogel sind natürlich vor-amputierte Gänsekeulen, aber dennoch, sie angemessen und mit hohem Köstlichkeitsfaktor zu braten erfordert ein ähnliches Maß an Erfahrung, know how, Liebe und Hingabe wie, beispielsweise, die Besamungstechnik. Ich griff der federführend gastgebenden Hausfrau brattechnisch ein bisschen unter die Arme, denn bei Gänsebraten verstehe ich keinen Spaß! Erstens sind Gänse hochsympathische, viel zu denken gebende Geschöpfe Gottes, zweitens isst man sie höchstens ein, zwei Mal im Jahr, weswegen man sie drittens mit besinnlicher Andacht, quasi-religiöser Hingabe und pedantischer Präzisionspusseligkeit zubereiten sollte. Pfusch und Gefummel sind hier Lästerung! Als zwar nicht zertifizierter, aber seit Landei-Kindheit doch erfahrener Eigenbestandsbrater weiß ich darüber hinaus, dass es eine gehörige Rolle spielt, ob da jetzt so eine lieblos maisgestopfte, haltbare Graugans (Bertolt Brecht) aus schneeverwehten Tiefkühleiswüsten zu uns herübergehumpelt ist, oder ob es sich um ein vom grünen Bio-Bauern liebevoll handgestreicheltes, des Abends mit Liedern aus dem agrarischen Folkloreschatz in den Schlaf gesungenes, zertifiziertes Edelthaustier handelt – das Ergebnis nach drei Stunden Bratandacht unterscheidet nämlich sich um Welten!
Die in unserem Falle überaus köstlichen (außen kross-knusprigen, innen zart würzigen) Gänsekeulen lieferte eine hiesige Qualitäts-Metzgerei, die vielfach prämiert und zertifiziert ist und sich im Internet mit berechtigtem Stolz als „königlicher Hoflieferant der Bordschigin Familie der Mongolei“ präsentiert. Die mir bis dato gänzlich unbekannt gebliebene Tatsache, dass die Mongolen über einen König verfügen, der sich überdies sein Fleisch ausgerechnet aus Dinslaken-Hiesfeld einfliegen lässt, gehörte zu den weiteren lehrreichen Unterrichtungen dieses genussvollen Abends in unserem nun gewiß nicht „bildungsfernen“ Kreis.
Unser Tischgespräch glitt indes im weiteren aus dem Pferde-Inneren wieder hinaus und in den Erfahrungsaustausch über die Frage hinüber, wie es sich anfühle, eine Gans auszunehmen. Einig war man sich, dass hier Fingerspitzengefühl angeraten sei, denn käme es durch Unachtsamkeit oder Defizite in der Kenntnis der Vogelanatomie zur Verletzung der Gallenblase, müsse das schöne Vieh nämlich leider komplett weggeschmissen werden. Ein Pferd wegzuschmeißen, wäre zweifellos noch trauriger und kostspieliger, aber die rund um dieses Tier ausgebildete Tisch-Dame versicherte mir beruhigend, ein Pferd sei, schon aus Gründen innerer Übersichtlichkeit, weniger empfindlich und gefährdet, sodaß der Eingriff in der Regel eben nicht zur Verringerung des Pferdebestandes, sondern zu seiner Vermehrung beitrage, – eine Sachinformation, die nicht zuletzt auch den Mongolen-König erfreuen dürfte, wenn denn seine Existenz nicht, wie manche meinen, „eine Ente“ sei. Über die Zubereitung solcher Enten ein andermal.
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Schlagwörter: Übersichtlichkeit, Berufstätigkeit, Besamungstechnik, Bio-Metzger, Gallenblase, Gans, Gänsebraten, Gänsekeule, König der Mongolei, Kuh, Mongolen, Nutztiere, Pferd, Philosophie, Rotwein, Tisch-Gespräche
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4. Dezember 2010 um 7:31 PM
Siehst Du wohl. Jetzt ist alles in der Reihe und keiner wirft uns mehr Weihnachtsprobleme vor. Ein Hoch auf die Blogfreiheit.
4. Dezember 2010 um 10:45 PM
Dass Dschingis Khan reitet wissen wir ja von Ralph Siegel und dem Eurovision Song Contest von 1979; seine Vorliebe für Federvieh aus Dinslaken ist mir neu. Aber es wäre ja überlegenswert, daraus einen Hit zu machen. Statt „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund“ oder „Ein bißchen Frieden“ dann halt „Ein bißchen Watscheln, ein bißchen Schmatzeln“ mit dem Text von Kraska. Und Kraska singt zur Musik von Ralph Siegel beim nächsten Contest im Wettbewerb mit Lena.
4. Dezember 2010 um 10:59 PM
Ach bittschön, keine Siegelmusik.
Ansonsten kein schlechter Vorschlag.
Kraska, kannste singen ?
oder mehr brummeln ?
6. Dezember 2010 um 11:12 AM
Egal ob Du singen kannst, bleib beim Schreiben!
6. Dezember 2010 um 11:35 AM
Die Fragen, die sich mir stellen: wie hast Du es geschafft, bis nach reichlichem Gans- und Rotweingenuss keine Konversation zu machen? Und warum sind bei einem privaten Gansessen lauter wildfremde Leute? Ich freue mich schon auf die unsere, der ich im Angedenken an diesen herrlichen Text und Dich all die Präzisionspusseligkeit zukommen lassen werde, derer ich fähig bin.