Philosophie im Bad. Elektro-Dreadlocks


Extrem aufregendes Bekenntnis, Leute: Ich besitze einen Fön! Kaum zu fassen, ich weiß. Er ist halt nützlich bzw. unabdingbar zur Herstellung einer modischen Fönfrisur, das einzige, was meine wachsenden sog. Geheimratsecken einigermaßen kaschiert. So weit, so spannend. Wow, oder? Ein Fön! – Morgens, nach dem Duschen knipse ich ihn an und puste mir die Frisur zu Berge. So weit, so trivial. Gähn… – Das metaphysisch Eigentümliche, intellektuell kaum zu Bewältigende liegt indes darin, dass das anhängende Kabel, obwohl ich mit dem Fön überhaupt nichts Extravagantes anstelle, täglich und zusehends immer mehr und niederschmetternd … verkrunkelt(vgl. Foto!). Das Kabel verdreht, verzwirbelt und verknotet sich jeden Tag um mehrere Windungen, – und ich weiß nicht, wieso. Ich tanz doch nicht Tango beim Fönen! Dessen ungeachtet verflixt, verfilzt, verwirbelt und verdengelt sich das seelenlose Mistding ein ums andere Mal hoffnungsloser, bedrohlicher und irreversibler zu einem unauflöslichen Wirr-Quirl und Katastrophenknoten. Elektro-Dreadlocks.

Ich entwirre es fast täglich, drösele es mühsam wieder in Normalform, aber schon am nächsten Morgen bildet es wieder ein elend draht-nudelig in sich verflochtenes, verknotetes Gebilde selbstinduzierter Verdrehtheit, Verschraubung und Verkorkstheit. Eines Tages wird das Kabel endgültig an seiner eigenen, selbst gewollten Verdrillung zerbrechen und es ist aus mit der heißen Luft. Todestrieb der mobilen Haushaltsgeräte! – Gut, aber warum? Es gibt, so viel ich weiß, mathematisch-physikalisch-topologische Theorien, die beweisen, dass längliche, flexible Dinge (Haare, Nudeln, Kabel, Zwirn) nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten dazu neigen, sich zu unentwirrbarem Filz zu verknoten. Aber genügt das?

Es will mir doch auch etwas sagen, das Kabel, es verdrillt sich metaphorisch und symbolisch, es fungiert als ein Zeichen höherer, klügerer Mächte! Es spricht, und zwar auf Sanskrit: „Tat tvam asi“ sagt es, – das bist DU! Wie? Ich ? Wieso ich denn? Weil, nebbich, mein Hirn diesem Kabel halt aufs Haar gleicht. Als ich jung war und die Wirklichkeit noch direkt aus der Steckdose kam, verwandelte sich der Impuls unverwunden (!) und unmittelbar direkt in heiße Luft. – Wie anders heute! Jetzt, im fortgeschrittenen Alter, muss, was ich denke, sich durch ein wirres Knotenknäuel von Verdrehungen, kruden Verwindungen und jähen Richtungsänderungen kämpfen; alle anderthalb Zentimeter ein Wenn-und-aber, ein Jedoch- und-andererseits, ein Hingegen und Hinwiederum-im-Gegenteil! Die ursprüngliche Idee kühlt dabei merklich ab, relativiert, verzweigt, ja untergräbt und verknotet sich selber. Kaum gelingt es mir noch, mich zu einem Meinungsinhaber hochzufönen!

Das Kabelorakel verrät mir: Du wirst alt! Dein Denken wird ja peinlicherweise immer verdrehter, verwinkelter, knotenreicher und komplizierter. Noch nicht Alzheimer, aber doch schon eine Art Zerebral-Sklerose, ein empfindlicher Mangel an Gradlinigkeit, Direktheit und Schnörkellosigkeit. Der Kölner Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer konstatierte einst: „Je einfacher denken, is oft enne jute Jabe Jottes“. Ja, Pustekuchen! Damit ist es leider vorbei! An die Stelle schnurz-präpotenter Bescheidwisserei tritt das skeptische Abwägen, die frei assoziierende Abschweifung, die sich potenzierende Komplikation. Am Ende steht, anstelle eines knackigen Meinungs-Statements, bloß ein müde-fragendes „Phhhh…? – Wie bei meinem Fön!

Hülfe es, einen neuen Fön zu erwerben? Immerhin gäbe es den leichter als ein neues, junges Hirn. Das wärs doch: Neues, junges, unverknotetes Denken! Heiße Luft wieder ohne Umwege! Aah, noch mal jung sein! Rankes, schlankes Direkt-Meining! Andererseits: Der Fön TUT es doch noch! Nur das blöde Kabel zickt. Am liebsten wäre mir ein Laden, wo ich sagen dürfte: „Tun Sie mir bitte an den noch hervorragend pustenden Fön ein ordentliches neues, unverdrilltes Kabel so irgendwie unten hinten dranbummeln!“ – Aber solche Geschäfte gibt es ja nicht mehr, aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Man kann ja auch nicht zum Arzt gehen und sagen: „Bittschön, machen Sie da das bisschen Alzheimer weg, und lassen’s den Rest halt, wie er ist!“


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9 Kommentare - “Philosophie im Bad. Elektro-Dreadlocks”

  1. puschenteil Says:

    Grandioser Beitrag (:

  2. Lakritze Says:

    Mit Funkstrom wäre das nicht passiert. Andererseits wäre dann auch die schön verwickelte Metapher nix mehr. Ist also schon gut so, wie es ist.

    (Ich hätte einen wunderschönen Fön anzubieten, der mit einem vor zwanzig Jahren neu gemachten Kabel glänzt. Allerdings ist er inwendig asbestverseucht, insofern nur Extremverdrängern zu empfehlen.)

  3. /cbx Says:

    Oh Kraska, wie sehr ich mit Dir fühle! Bezüglich des Kabels ebenso wie bezüglich des Hirns. Auch ich leide zunehmend unter induktiv gedankenstrombremsender Hirnwindungsverschlingung – und weiß auch (fast) kein Mittel dagegen.

    Was aber den Fön betrifft, so möchte ich hier an dieser Stelle zum schonungslosen Enthüllen übergehen. Obwohl ich als Elektroingenieur ja durch den Fourier’schen Eid zu ewigem Stillschweigen verpflichtet bin, möchte ich Dir hier ein Geheimnis anvertrauen, das die Hörsäle der Technischen Universitäten eigentlich nicht verlassen darf.

    Es werden dort eigene Vorlesungen in der Kunst der Kabelverdrillung gehalten. Nicht nur in der Hochspannungstechnik, wo man Verdrillmasten setzt (vielleicht hast Du ja schon mal einen Mast gesehen, der aussieht als hätten zwei unterschiedliche Firmen an entgegengesetzten Enden mit dem Verdrahten angefangen und am Treffpunkt dann die falsch sortierten Leitungen kreuz und quer miteinander verbunden), nein auch bei Konsumgeräten werden speziell entwickelte selbstverdrillende Leitungen eingesetzt.

    Der Grund dafür ist klar: Ein Fön (oder Bügeleisen oder weißgottwas) ist so simpel aufgebaut, dass man dort praktisch (soll heißen „wirtschaftlich“) nichts einbauen kann, was da drin kaputt gehen könnte. Deshalb setzt man in diesen Geräten verschweißte selbstverdrillende Kabel ein, die nach der vorgesehenen Lebensdauer brechen (oft sogar mit Knall und Rauch) und somit die wichtige Konsumerhaltungsfunktion sicherstellen.

    Im Grunde ist das also sowohl logisch als auch notwendig (also wenigstens genau so notwendig und logisch wie unterirdische Bahnhöfe…).

    Aber von mir weißt Du das nicht…

    • 6kraska6 Says:

      Vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar, amydyne! Mit einem Ingenieur zu kommunizieren, von ihm etwa evtl. sogar ernst genommen zu werden, ist für einen Geisteswissenschaftler eine ungewohnte Erfahrung!

      • /cbx Says:

        Schwer denkende Geisteswissenschaftker nehme ich immer ernst – wär ich doch selbst so gern einer geworden…Naja – hätt ich halt was g’scheites gelernt.

        Aber für die verzwirbelungsfreie Hirn-Mund-Koordination (oder von mir aus Hirn-Keyboard) habe ich eine Lösung, die Dir als praktizierender (achtung – jetzt kommt’s) alteregoist (*germanismuskrampf*) nicht schwer fallen dürfte. Ich beispielsweise halte mir mein Alterego Mark Sander, einen Typen, bei dem zwischen Kopf (wollte jetzt nicht „Hirn“ schreiben) und Mund so gut wie nie irgendwas bremst. Das erfrischt kolossal.

        Gut, manchmal wird das mit den multiplen Persönlichkeiten auch wieder kompliziert: http://cbx.amadyne.net/blog/articles/701/gehirnjogging-fuer-aeltere-semester

        Aber es hält die Ganglien geschmeidig.

  4. utecht Says:

    Oder es wird einfach doch Tango getanzt, morgens. Das wird dem Fön (wie war nochmal das tolle italienische Wort dafür?) nicht weiter schaden und dem Hirn nutzen. Zumindest der Durchblutung desselben…

    • /cbx Says:

      Oooooch. Ihr Nichttechniker immer mit Euren Triviallösungen. Ich fand die Methode mit Leiter und Besenstiel (->qype) viel aufregender.

      Davon abgesehen hat bei mir so ein schlaftrunkener Morgentango schon mal einen Handtuchhalter durch brachiale Entdübelung um seinen wandnahen Arbeitsplatz gebracht.

      Glücklicherweise sind ja nicht alle morgens so verpeilt…

  5. azestoru Says:

    Hier passiert das immer mit dem Telefon. Nach jedem Anruf hat der Kabelsalat eine Windung mehr. 🙂

  6. LEDoTom Says:

    Ich lach mich tot. Das ist mystisch. Seit Jahren hab ich einen Fön und alles war gut. Dann zog meine Freundin bei mir. Sie behauptet felsenfest, dass Sie für diese Knoten keine Schuld trägt. Jetzt such ich ein Drehstück (Adapter), wie man es von Telefonhörer kennt. Und ja muss es geben. Hab ich kürzlich beim öffentlichen Fön im Schwimmbad gesehen. Nur zu kaufen gibt es das nicht.
    Entweder ich finde so ein Teil, oder ich such ne andere Freundin. Ach geht gar nicht. Sind ja inzwischen verheiratet.
    Was macht man da nur ? Kopfschütteln.
    Find ich aber sehr amüsant, dass ich da nicht alleine auf der Welt bin mit diesem Problem.
    Danke für den Beitrag.


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