Astro-Zinnober im Retro-Look


Brandneu: Geozentrismus im Überblick

Ich liebe Berichte, die mit dem Satz beginnen: „Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden…“ – es folgt dann entweder irgendein höherer Blödsinn, etwas trivial Selbstverständliches oder auch weltstürzend Unbegreifliches, das am Ende aber zumeist und zum Glück doch nicht stimmt.

Während ich der sonntäglichen Online-Zeitung gerade entnehmen will, was amerikanische Wissenschaftler denn nun wieder alles herausgeforscht haben, betrachtet die Gattin stirnrunzelnd meinen allmählich ins Barocke spielenden Körperumfang (vgl. „Kugelgestalt“) und konstatiert kritisch: „Du brauchst mehr Bewegung!“ Ich widerspreche eloquent: Unser lieber Planet Erde (Galilei: „Und sie bewegt sich doch…!“) verliere seine annähernde Kugelgestalt doch auch nicht, trotz sogar enormer täglicher Bewegung – immerhin kreist der Erdball in einem Affenzahn, mit 30km pro Sekunde, um die Sonne! Bewegung ist ja also wohl nicht alles!

„Lenk nicht ab!“ insistiert meine schlankere Hälfte, „und außerdem“ – sie zeigt auf den Bildschirm – „ist das ja wohl noch gar nicht erwiesen…“ Zwar meint sie das nicht ernst, aber mir bleibt dennoch vor Staunen der Mund offen stehen: Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt, lese ich, „herausgefunden“, dass Galileis lügenhaft heliozentrisches Weltbild auf einer internationalen Verschwörung gegen Mutter Kirche beruhe und kosmologisch grottenfalsch läge. In Wahrheit ruhe die Erde unbeweglich im Zentrum des Weltalls und bilde den unerschütterlichen Mittelpunkt des Universums („Wie ich! Genau wie ich!“ wollte ich schon triumphieren…), was schon der Augenschein bewiese, da man in alle Richtungen gleich weit ins All hinausgucken könne. Bei dieser Beweisführung wird mir langsam etwas mulmig. Die schon nach 400 Jahren erfolgte Rehabilitierung Galileis durch den Papst, lese ich weiter, sei mithin sofort rückgängig zu machen, sowie bei dieser Gelegenheit auch gleich die schändliche Irrlehre vom kosmogonischen Urknall zu widerrufen.

Demnächst fände, hieß es abschließend, im US-Bundesstaat Indiana ein wissenschaftlicher Kongreß statt, auf dem eine Handvoll herausragender Doctores ihre neuen astro-theologischen Zinnober der verblüfften Weltöffentlichkeit vorstellen wollten. Zwar beschleicht mich der Verdacht, diese amerikanischen „Wissenschaftler“ dürften ihren Doktor an der katholischen Klippschule St. Einfalt-Hinter-den-Wäldern gemacht und sich dabei einen derben Urknall zugezogen haben, – aber falls, wie amerikanische Wissenschaftler demnächst vermutlich nachweisen werden, die Erde eine Scheibe ist, könnte man interessehalber ja mal ’rüberrutschen zu dem Kongreß in Amerika, das bekanntlich gleich hinter Indien liegt. Ich brauch ja eh Bewegung. – Hauptsache, ich verfahr mich nicht.

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5 Kommentare - “Astro-Zinnober im Retro-Look”

  1. vilmoskörte Says:

    Leider ist die Einfalt kein ausschließlich US-amerikanisches Phänomen. Sie grassiert hier z.B. bedenklich bei BWLern und auch einige VWLer sind stark betroffen.

  2. Lakritze Says:

    Wie, schon wieder April?
    Und ein Tip für den maximalen Fitneßgewinn: Nach Indiana natürlich mit dem Rad fahren.

  3. /cbx Says:

    Dass ausgerechnet der hauptberufliche Philo-Magister sich über diese Veranstaltung so erheitern kann, finde ich zwar verständlich, zugleich aber etwas traurig.

    Ich persönlich finde das Konzept mit Sonnensystem, Galaxien und einem unendlich expandierenden Universum ja auch irgendwie würziger, dass das andere Modell aber Unfug ist, kann ich selbst genau so wenig beweisen wie das Gegenteil. Das muss ich (pfui!) „glauben“!

    Da fällt es mir echt schwer, Atheist zu bleiben….

    Nachdenkhilfe bei:
    http://cbx.amadyne.net/blog/articles/665/dummheit-ist-immer-auch-die-dummheit-der-andersdenkenden

  4. Harry_B Says:

    Das Zentrum meines Universums liegt offensichtlich genau zwischen meinen Augen, und wenn die geschlossen sind in meinem Körperschwerpunkt, und wenn dessen Umfang zu beschwerlich wird, fliege ich einfach nach Äthiopien, wo man spottbillig der Völlerei fröhnen(!) und dennoch mühelos(!) abnehmen kann.
    Das Land hat viel mehr Vorteile als die Spenden-Propaganda uns Glauben machen will, einschließlich 13 Monaten Sonnenschein, Höhenklima und sehr fett-, zucker-, und salzarmer Kost. 😛


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