Müssen sollen kann ich nicht


Von der Sonne des Erfolgs beschienen: Kraska prokrastiniert wieder mal

Ungern langweile ich mit larmoyanten Wartezimmergeschichten. Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen, und ab fünfzig werden es wöchentlich mehr Sorgenpakete, Beschwerden-Eimer, medizinische Nervmüllsäcke, die man mit sich herum schleppt. Ist normal. Die Freuden des Alters. Ich les schon gar keine medizinischen Artikel mehr, weil ich die beschriebene, u. U. gerade neu erfundene Krankheit sofort auch kriege! – Dennoch, eine der mich bedrängenden, und immer virulenter wirksamen Psycho-Macken, unter denen ich echt leide, ist evtl. doch von allgemeinem Interesse. Einem rentengestütztem Freiberufler sollte man dieses Leiden gar nicht zutrauen, aber es ist so: Ich leide, schon von Kindesbeinen an, mit geschwollenen Rentnerbeinen aber erst recht und mehr und mehr, unter einem hypertrophierten Freiheitsdurst.

Wie sich das auswirkt? Ich mag nichts mehr müssen! Mit dem Sollen steh ich auf to-ta-lem Kriegsfuß! Sobald ich irgendetwas, egal was, „muß“, blockiere ich praktisch komplett. Verfalle in Katatonie. Prokrastiniere wie ein Voll-Spasti. Werde streng riechend chaotischer Zeit-Messi. Krieg also nichts gebacken, Null. Beim Schreiben zum Beispiel: Mir fällt nur etwas ein, wenn ich eigentlich etwas ganz anderes, Wichtigeres, pflichtgemäß zu erfüllen oder zu erledigen hätte. Dann perlen die Gedankengirlanden, die champagniösen Assoziationsketten, dann hagelt es, wenn das denn ginge, Gedankenblitze noch und noch.  Kraska in Hochform! Die Quatsch-Kommode pfeift aus allen Löchern! Nur, nebbich: Ich bin gut nur in Sachen, die ich eigentlich, zumindest jetzt, nicht darf!

Das ist die eigentliche und ehrliche Antwort auf die Frage, warum ich mein bescheidenes Talent unbezahlt auf Schrotthalden wie Qype austobe, anstatt auf eigene, womöglich lukrative Rechnung Taschenbüchlein bei Eichborn oder Diogenes zu publizieren, um daraufhin in Talkshows den hintersinnig-subversiven Humoristen zu geben: Ich kann leider gar nicht anders. Ich schreibe lieber, um die extrem begehrte schwarze Qype-„Koryphäen“-Medaille zu ergattern („Du hast schon 92% erreicht!“) Sobald ich einen Verlagsvertrag unterschrieben hätte, müßte ich ja Texte liefern, und was ich muß, kann ich nicht. Es ist zum Haareausraufen! Ein Fluch! Eine tragische Blockade! Sobald der Verleger oder sein Lektorenknecht anriefe, um zu fragen, wann ich denn nun geneigt sei, endlich die versprochenen, im Voraus bezahlten Manuskripte zu liefern, fiele bei mir die Klappe: Schreibblockade wegen Müssen! Den Vorschuß hätte ich vertrunken, aber eingefallen wäre mir: Nichts.

Das geht inzwischen soweit, dass ich selbst gegen meine eigenen Entschlüsse zwanghaft rebelliere. Sobald ich mir beispielsweise selber sage: „Ich muß jetzt aber mal den Schreibtisch aufräumen!“, tritt die zwanghafte Oppositionslust in Aktion. Die hört nur „Müssen“ und ergreift die Flucht nach vorn, verzettelt sich in irgendeinem nutzlosen Quatsch und versaut mir, selbst im goldenen Lebensherbst, jede Aussicht auf Erfolg. „Müsssen muß ich gar nichts!“ quäkt mein eingebauter, arroganter Anarcho-Trieb und reckt dazu das  strohdumm selbstbewusste, ausgesprochen blonde Köpfchen. Ich fürchte, gegen Geld – um das ich zwar nicht gerade einen Kult veranstaltete, das ich im Prinzip aber durchaus dringend gebrauchen könnte – wäre ich sofort außerstande, einen halbwegs lesbaren Text zu verfassen. Zu meinem großen Glück verschont man mich seit Jahren mit Vertrags- oder Geldangeboten. Gut so! Vielen Dank! Auf diese Weise erlaubt mir das Verlagswesen, von Muss-Zwängen unbehelligt, mein Schattendasein als leider durch den Rost gefallenes kleinkünstlerisches Unterhaltungstalent der unteren, d. h. Blog-Klasse zu fristen. – Fünfzig handverlesene LeserInnen-Freunde sind ja immerhin auch kein Pappenstil, tröste ich mich in gleißnerischem Selbstbetrug.

Anstatt mit Lustigkeitskleinigkeiten Millionen zu scheffeln und in Stadien aufzutreten, in privat-fernsehlichen Talkshows omnipräsent zu sein und eine eigene Comedy-Show bei Sat1 oder RTL2 zu kreieren, verbleibe ich im Dunkel jener, die man nicht sieht. Oder liest. Oder beschenkelklopft. Kraska who? Never heard. So richten einen die eigenen Marotten und Maladien karrieremäßig zu Grunde. Einziger Trost: Man(n) schreibt ja in jungen Jahren hauptsächlich, um junge Frauen zu beeindrucken und willige Groupies zu rekrutieren. Darüber aber bin ich (glücklicherweise?) altersmäßig hinaus.

Wohlmeinende Freunde, die mein Dilemma betrübt, empfehlen mir zur Lösung meiner Psycho-Macke die Firma BoD: Book on Demand. Ich war auf deren Web-Site und muß (!) sagen: Deren Angebot kommt mir fair und vernünftig vor. Man macht ein Buch, veröffentlicht es sozusagen virtuell und auf Kommission, und falls es wider Ewarten doch ein Erfolg werden sollte, wäre allen gedient, jeder verdiente gediegene Kohle und alles würde gut. Ich hab mir deren Vertragsbedingungen kommen lassen, ein dickes Paket Papier, und ich muß sagen: Ich finde keinen Haken. Bislang umstandshalber verhinderte Literaten, Produzenten sog. poetischer Photos, alternativer Reiseberichte oder schräg-humoristischer Kurzprosa sollten hier andocken, ein-loggen und up-daten!

Das Problem: Ich muß mich entscheiden. Worauf der Text, der sich als Rondo entpuppt, von vorn beginnt. Ich hasse Müssen!

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7 Kommentare - “Müssen sollen kann ich nicht”

  1. Lakritze Says:

    Ha. Neben Idiosynkraska jetzt auch das Prokraskanieren. Oder die Prokraskanation?

    Jedenfalls: solltest Du mal eine unbezahlte Lektorin suchen, stünde ich, sofern ich gerade was wichtiges anderes zu tun hätte, zur Verfügung … ;))

  2. Scarpa Says:

    na bitte, läuft doch. Und noch was: Du MUSST kein Buch schreiben! ;-))

    P.S. schönen Gruß von Watzlawik

  3. ottogang Says:

    irgendwie kommt mir das bekannt und vertraut vor.
    Ich versuche dann immer mir einzureden, ich darf das.
    Darf ich das ? ja,das darf ich. Ich darf auch müssen, aber ich muss nicht dürfen. Obwohl, ich könnte beim dürfen ja auch müssen dürfen. Das geht aber nicht.
    Am liebsten will ich wollen, wenn ich darf. Nur nachts, da möchte ich gern weniger müssen, wenn ich eigentlich nicht will. Oder so.


  4. Hallo!

    Ich kam gerade mehr durch Zufall an diesem Blog vorbei und wollte vor allem auf den BoD-Abschnitt bezugnehmend sagen: Nach drei Jahren Veröffentlichungszeit über BoD ist mir bisher auch noch kein Haken untergekommen.
    Reich wird man nicht, aber das wird man im Grunde ja pauschal nicht mit Büchern. Aber gezahlt wird immer pünktlich und akkurat. Und das Buch ist dort ebenso problemlos veröffentlicht wie im Laden zu beziehen, von der Online-Buchkette bis hin zum kleinen Buchladen in der Eifel getestet 😉

    Die restlichen eventuellen Hürden kann das nicht nehmen, aber das, was BoD zu leisten versprechen, haben sie bei mir bisher auch immer gehalten.

    Bin nicht mit denen verschwägert und kriege über die Margen der Bücher hinaus kein Geld von denen, aber ich empfehle sie gerne.
    Für mich waren sie damals Antwort auf ein vergleichbares Dilemma.

    Viele Grüße,
    Thomas Michalski

  5. 6kraska6 Says:

    Lieber Thomas,
    danke für Deine Hinweise und die Mühe, die Du Dir gemacht hast. Ich überdenke die Dod-Sache…
    Viele Grüße,
    Reinhard


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