Von nun an bergab
VON NUN AN BERGAB
Neulich auf Patrouille im Viertel. Früher Abend, Vorfrühling. Sonnenuntergang hinter den Hochöfen. Ruhrromantik satt. Näh, watt is datt schön bei uns innen Westen! – Ein glamourös goldfarbener Daimler (!) mit Herner Kennzeichen schwebt neben mir ein, landet an Gate Bürgersteig, das nachtblau getönte Fenster senkt sich lautlos. Drinnen dröhnt türkische Arabesk-Musik mit extra viel Bass und Jefühl. Ein schnieke gegelter junger Smoking-Träger schaut zu mir hoch und brüllt, um die Musik zu übertönen:
„Efendim, Ağabey, nerede ya düğün solonu Aad’lenn’sch’e-trasse?“
Ich schaute, obwohl als Wahl-Niederrheiner jederzeit fest entschlossen, ratsuchenden Fremden jedweden Weg zu erklären, selbst wenn er mir selber absolut unbekannt wäre, hier doch etwas ratlos: Zwar verstand ich als Ehrentürke, daß der Kapitän der Goldenen Fregatte nach einer Spezialgroßgaststätte zum Zweck türkischer Hochzeitsabfeierung suchte, aber obwohl ich mein Geddo kenne wie ein bulgarischer Taxi-Fahrer, hatte ich keinen Schimmer, wo wohl diese „Aad’lenn’sch’e-trasse“ liegen möge. Aufs Geratewohl schickte ich den Goldenen Reiter und seine Festkumpane in eine falsche Richtung. Unabsichtlich aber, ich schwör, Alda!
Erst Tage später wurde es mir, Wunder des Gehirns, aus heiterem Himmel plötzlich schlagartig klar, daß man die Adelenstraße (sprich also: Adéeehlen-Straße) gesucht hatte, eine der ödesten, tristesten Industriestraßen auf dem Hinterhof alter Hüttenwerke in Hochfeld, auf der sich jedoch ein Pracht-Saal für das ethnologisch reizvolle Ritual befindet, das wir als „Türkenhochzeit“ kennen.
Das Etablissement ist eine Art real gewordener feuchter Mädchen- bzw. Märchen-Traum aller Schwiegermütter und altjüngferlichen Nenntanten zwischen Izmir und Van, eine innenarchitektonische Rauschgold-Schoko-Buttercremetorteneisbombe mit Doppelrahmschlag-sahne, Krokant und Nougat-Applikationen, ein seiden-damast-gold-rosa-weiß gestaltete Honigkuchen-Deko-Orgie der perfekten Illusion, eingedeckt, geleckt und steifgebügelt für die große Opern-Ouvertüre vor dem finalen Absturz ins brunznormale Scheißleben: Aah, Hochzeit! Vetter Murat und Cousine Selma (Frisch-Import aus der Heimat) werden hier in Marzipan gegossen, mit Tüll umwickelt und mit Geldscheinen beschmissen. Der Efendi düğün salonu sorgt für das Komplett-Rundum-Sorglos-Paket: Musike (Pop, Arabesk, Folk), Video, Choreographie, Conference etc. Das Schicksal kann ungestört seinen katastrophalen Lauf nehmen.
Wer hätte, erst recht als fremder, deutscher, ungläubiger vulgo aufgeklärter und vom postmodernen Schicksal desillusionierter Gast, das Herz oder die Stirn, Selma über ihre Zukunft aufzuklären? Lieber Volkstanz und Verbrüderungstralala. Aber Deutsche werden eh auch nicht mehr oft eingeladen. Die rund achthundert Leute aus dem Heimatdorf füllen den Saal gut genug.
Als bekennend mieselsüchtiger Bedenkenträger, mache ich mir ja, offen gesagt, je größer, teurer, aufgebauschter der Hochzeits-Trubel-Prunk, um so mehr Sorgen um die dann nachfolgende Ehe. Das gilt übrigens ohne Ansehen der jeweiligen ethnischen Kultur und ist nicht auf Türken beschränkt. Auch bei deutschen Event-Hochzeiten (mit Feuerwerk, Performance und Fallschirmspringen) denke ich meist: Oha! Wenn das werte Mitmenschenpärchen mal die überirdische Aufladung der Hochzeits-Inszenierung im Alltagsleben bloß ratifizieren kann!
Kann es natürlich nie: Was mit dem „schönsten Tag im Leben“ (so glaubt wenigstens Braut Selma, Serab, Aynur, Dilara und Emine!) beginnt, kann danach logischerweise ja nur noch schlechter werden. Wird’s ja dann auch in aller Regel. Mich gruseln Feste, bei denen man sich die Seele aus dem Leib tanzt und euphorisiert, weil man genau weiß: Von nun an geht es nur noch bergab.
Ich weiß, noch immer verschulden sich türkische Familien bis ins Aschgraue, ja bis in griechische Dimensionen, um ihren Kindern eine rauschende Hochzeit mit 800 – 1000 Gästen ausrichten zu können. Das Wohl von Vetter und Cousinchen steht dabei nicht im Vordergrund. In der orientalischen Scham-Kultur zählt die Familienehre, und, um einmal als „großer Herrr“, Bey und Efendi dazustehen, verpfändet man gern das letzte Hemd. Hauptsache, die Nachbarn und Dorfkollegen zollen Anerkennung! Deshalb gibt es spezielle Unternehmen wie Efendi düğün salonu, die dafür sorgen, daß sich keiner schämen muß.
Jedenfalls nicht am Tag der Hochzeit. Was danach kommt? Allahbilir…
This entry was posted on 3. Mai 2010 at 2:59 PM and is filed under In the ghetto, It's a women's world. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Allah, Daimler, düğün solonu, Ehe, Ehre, Hochzeit, Hochzeitsbräuche, Migrantenkultur, Nachbarschaft, Orientalische Scham-Kultur, Prunk, Scheißleben, türkische Hochzeit
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6. Mai 2010 um 10:54 AM
Neben dem wundervoll eingesetzten Weichzeichner beeindruckt in diesem Beitrag ma si naturalemente die Haneldsche-Tagging-Kultur, die von der Orientalischen Scham nicht weit entfernt mutet:
Reinhard, darf ich Dir einen Antrag machen ?
6. Mai 2010 um 1:38 PM
Na ja, meinetwegen. Aber über das Brautgeld muß natürlich verhandelt wrden…
6. Mai 2010 um 1:38 PM
Na ja, meinetwegen. Aber über das Brautgeld muß natürlich verhandelt werden…
6. Mai 2010 um 1:39 PM
PS: Der Weichzeichner ist nicht von mir. Das macht der We b-Master vom Hochzeitssalon Efendi!
13. Mai 2010 um 5:01 PM
Babalar günün kutlu olsun. Her zaman olduğun gibi kal. Seni çok seviyoruz ve yakında bize döneceğini umut ediyoruz!
13. Mai 2010 um 5:13 PM
Teşekkür, arkadaşım, sende sağ oğlun! Neuköllnin büyük elçiye selam söyle!
Görüşürüs!