Barock im Baumarkt: Die Nacht der leitenden Reichen

...raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch (Peter Paul Rubens, Fleischereifachgemälde-Herstellung en gros)
OH FREUDE, TOCHTER DES DELIRIUMS
Etymologische Ironie: Das Wort „Banause“ kommt, – ich hoffe, manchen LeserInnen damit noch etwas Neues zu erzählen – , vom altgriechischen Wort bánausos, was ausgerechnet soviel hieß wie „Handwerker“. Die Zeitgenossen von Platon und Sokrates hegten nämlich noch eine schnippische Verachtung für Leute, die mit eigenen Händen arbeiteten, erst recht, wenn sie’s um des Geldes willen taten.
Insofern bin ich eine wandelnde Paradoxie, nämlich bekanntlich sowohl Hausbau- als auch Bauhausbanause. Eher homo laber als homo faber, komm ich mit Ingenieuren meist nicht gut zurecht. Mir fehlt das Daniel-Düsentriebhafte. Mir sind Dichtungen Hölderlins und Rilkes vertrauter als jene von Spüle und Waschmaschine, ich besitze weder das Deutsche Dübeldiplom, noch habe ich eine Lizenz zum Löten. Ich bin ein notorischer Pfuscher, bekennender Bastel-Larifari und ein insgesamt eher blind herumprobierendes Frickelmännchen, was bedeutet, die Sachen kommen zwar letztlich schon „irgendwie“ an die Wand, unter Putz oder ins Lot, aber keine Schraubverbindung, Flunschverflanschung oder Silikonikone ist korrekt genug angepasst, getackert und eingenordet, um den Eindruck auch nur elementarer Professionalität zu erwecken. Bei mir ist mehr als nur eine Schraube locker, die Tassen klappern im Schrank, und alles ist ein bißchen schief, wackelt oder hat zuviel Spiel. Wäre Heimwerkelei mein Steckenpferd, hätte mich dieses längst wutschnaubend abgeworfen.
Nicht obwohl, sondern weil das so ist, erinnert mich jeder Besuch in einem richtig-richtig großen, gut sortierten Baumarkt – wie es z. B. Bauhaus ist – an meine erste Besichtigung des Louvre.
Ich war ja erst altkluge, aber noch jungfräulich ungebildete Vierzehn. Mein Wissen über die abendländische Kunstgeschichte beschränkte sich vorerst auf das wiederholte Durchblättern des Bertelsmann-Sammelbandes „Hundert Meisterwerke der Malerei“, den ich mal zum Geburtstag bekommen hatte („der Junge malt doch so gern…!“). Dementsprechend stiefelte oder schlurfte ich, – auf Klassenfahrt in Paris der marodierenden Mitschüler-Meute mal kurz entlaufen –, eingeschüchtert, irritiert und verstohlen staunend, durch das endlose Labyrinth der Louvrepalast-Säle und ließ mich u. a. von extrem üppigen Rubens-Schinken hypnotisieren, deren spektakuläre Grässlichkeit mich in eine Art atemlose Schockstarre bewundernder Abscheu versetzte. Peter-Paul Rubens! Die flamboyant-opulente Korpulenz der barock-nackerten Damenwelt verursachte mir Albträume: Die Nacht der leitenden Reichen! Deren raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch per Auftragsschinken in Öl gebadet! Urrghs! Da stand ich vor ca. vier Quadratmetern fleischlichen Gewusels, Gewürges und Geschwurbels, vom Boden bis zur Stuckdecke reichendem barocken Öl-Geprotze, von dem ich damals naiverweise dachte: Das würde ich aber mir ungern über meine Jugendliege hängen! –
Der nur scheinbar banale Bauhaus-Baumarkt hingegen zeigt mir Banausen, wie es in meinem Kopf aussehen könnte, wäre ich ein ganz anderer, ein Haus-Mann zum Beispiel, ein Heim-Vati und Pfiffikus. Ordnung, Funktionalität und Zweckmäßigkeit heißen die Generäle, die hier die Parade ihrer rechtwinklig organisierten Truppen abnehmen: Schraubenschwadrone, Dübeldivisionen, Kabelkavallerie, Nagelsortimente, dazu gefechtsbereite Schlagbohrer, Hieb- und Stichsägen, Pionierbatallione multifunktionaler Patentwerkzeuge, solide konsolidierte Konsolenmodule („Modell Konsul“), patent-vorverklemmte Lüster-Klemmen, Klabastersäulen aus original Kunstimitat sowie selbstverständlich nicht-klumpende Kleisterkanonen, raffiniert verdrahtete Spiegelmuffen, fettfreie Lauflafetten und gewiß, die neuen, hochmodernen doppelt geflanschten Traversal-Transformatoren, gleich daneben Scharnier-Schabrackenschoner und vorgehobelte Trubeldoubletten, kindersichere Überbetten und linksdrehende Unterlegscheiben, alles auch aus Filz, Holz, Bast, Gips und Gummi, Paletten voller Matten, Rabatt-Platten und Furnierholz-Matratzen, dazu gegen fiese Energieschlamperei gefeite Energiesparlampen, ganze Batterien komplett vormontierter, blank transparenter Nasszellen-Trakte, eine Superauswahl an Ziertapezierfasermustern, jederzeit auch Kleintierbedarf und garantiegrüne Pflanzenbrunst, reparaturorientierte Proletenpolitur, videogesteuerte Klingelstreichwurst, erschwingliche Kunstabzugshauben, kombinierte Fühlschränke und HiTec-Inflationsherdplatten mit Leckerleiste…
– es nimmt einfach kein Ende, die Fluchten der Realienregale deregulieren mein Realitätsbewusstsein, mir schwinden die Sinne, im Rausch der Zwecke erfüllt mich Beethovens Ode „Freude, Tochter des Deliriums“, und ich sinke, ermattet, überwältigt und in Ehrfurcht ergriffen auf die gutmütig bereitliegende Auslegeware: Wäre ich doch nur ein Heimwerkberserker – ich befände mich im Nirwana, Walhalla, Paradies und Garten Edeka des Wirkens und Werkens!
Ich schwömme im permanent funktionalen Erledigungsorgasmus; gelegentlich käme der Herrgott im Blaumann vorbei, um mir gütig ein paar Tricks zu verraten, wie man eine hübsche Welt zusammenschustert, ohne sich länger als höchstens sechs Tage hineinzuknien. Konvertierte ich zu dem Glauben an die prinzipielle Konstruierbarkeit der Weltbeheimatung – der Bauhaus-Baumarkt wäre meine Bastel-Basilika, mein Tool-Tempel, meine Malocher-Moschee!
This entry was posted on 4. Februar 2010 at 11:39 AM and is filed under Aus dem Kulturbeutel älterer Jugendlicher, Aus meinem Qype-Kästchen. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Barock, Bastler, Baumarkt, Bertelsmann, Die Nacht der reitenden Leichen, Heimwerker, Louvre, Malerei, Paradies, Paris, Rubens, Weiberfleisch, Werkzeug
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5. Februar 2010 um 7:45 PM
… und nicht nur das, Rubens war auch als Mensch ein ganz schlimmer Finger. Alle schlimmen Finger bitte ich um ‚tschulligung, aber’s heisst nun mal so, wenn jemand ganz ganz fies ist.
Jedenfalls konnte Diego Rodríguez de Silva y Velázquez ein ganzes Liederbuch von Rubens Hinterhältigkeit singen.
6. Februar 2010 um 12:46 AM
Manchmal ernte ich zweifelnde Blicke, wenn ich sage, dass ich zuerst Maschinenbau studiert habe (ich war als Kind schon Düsentrieb) und danach Philosophie, aber dein Artikel bestätigt mir, dass das durchaus sinnvoll sein kann.
Ein Tipp: Wenn du den Baumarkt schon als Technik-Tempel wahrnimmst, dann müsstest du erstmal die Reliquien im Deutschen Museum in München sehen! Den Baumarkt schaffe ich in ein bis zwei Stunden, für das Deutsche Museum brauche ich mindestens zwei Tage.
6. Februar 2010 um 2:34 PM
@harry b: Das sind natürlich die Top-Spieler: Düsentriebs mit leuchtender Geistbirne! – Aber im Ernst: Soo selten ist das wohl gar nicht. In einem meiner Seminare ist auch ein Maschinenbauer, der noch Philosophie studieren will. Philosoph mit Maschinenbau-Ausbildung: Wenn man dann noch Klavier spielen und Bogen-Schießen kann, reicht das für Mr. Universum.
6. Februar 2010 um 3:37 PM
6kraska6 schrieb:
„Wenn man dann noch Klavier spielen und Bogen-Schießen kann, reicht das für Mr. Universum.“
Das konnte ich beides schon mal (und zum Klavier sogar singen), aber genützt hat es mir nichts, und von einem Mr. Universum scheine ich mich jeden Tag weiter zu entfernen.
Im Moment orientiere ich mich eher an der Figur des „Silver Surfers“, dem zwischen Galaxien kreuzenden Philosophen ohne festen Wohnsitz. :-))
6. Februar 2010 um 3:56 PM
Tja, die Welt ist nicht gerecht. Aber zum Glück weiß man das als Philosoph eh schon..
8. Februar 2010 um 10:37 PM
Klingelstreichwurst. Videogesteuert. Ich sehe, ich muß dringlich mal wieder ins örtliche Heimwerkerdorado. Har.
24. Februar 2010 um 7:17 PM
… und bitte, lieber Herr Kraska:
Nix gegen das „Geschwurbel“, auch wenn es leicht adipös sein sollte!
Es ist eines meiner Lieblingsworte der letzten Monate geworden (noch vor „Hühnergötter“!). Und es lässt sich so wunderbar für alles und gar nichts verwenden…
Wenn ich nur wüsste, wo ich es aufgeschnappt habe??
24. Februar 2010 um 10:17 PM
Also meiner Kenntnis nach geht das Wort Schwurbel (auch Hirnschwurbel oder Geschwurbel) auf die sog. Neue Frankfurter Schule zurück; namentlich der Dichter & Schriftsteller Eckhard Henscheid hat dieses Wort, das einen Mix aus Schwips, Schwindel, Wirbel und Übelkeit ausdrücken soll, in seinem ersten Roman benutzt, um einen leichten Kater zu bezeichnen. – Später gebraucht für alles hirnbezogene, das nicht mehr recht geradeaus will. Oder kann.