Unter Geiern

Denkt über seinen Job, was ihr wollt, aber er ist ein cooler Hund: Wolfgang Wiebold, König des Katastrophen-Journalismus im Revier!
Ich kenne ihn nicht persönlich, verfolge seine Arbeit aber schon seit mehr als fünfzehn Jahren. Er ist eine pittoreske Figur und für mich eine Art zwielichtiger postmoderner, neo-romantischer Ruhrpott-Held. Indirekt profitiere ich von Wolfgangs Unermüdlichkeit: Er, „der Mann, der niemals schläft“, hält mir sozusagen den Rücken frei. Seine Firmentätigkeit („Schwerpunkte“) gibt er an mit: „Unfälle, Brände, Feuer, Katastrophen, Anschläge, Explosionen, Mord, Totschlag, Sturm, Unwetter“! Und so etwas ist bei euch im Ruhrgebiet legal, fragt ihr? Nein, nein, Wolfgang Wiebold ist weder Brandstifter, Terrorist, noch Auftragskiller, und er macht nie viel Wind, geschweige denn Sturm! Wiebold ist schweigsam wie Clint Eastwood und leise wie Nick Cave. Aber wenn im Ruhrgebiet irgendwo gerade die Wirklichkeit verblutet, abbrennt, zusammenbricht oder explodiert, ist WW auf eine fast mysthische Weise immer schon zur Stelle und hält alles mit der Kamera fest, um es an TV-Sender zu verkaufen. Seit dreissig Jahren ist er im Geschäft der Katastrophen-Geier, und er ist immer noch unangefochten der schnellste und hartgesotttenste Bilder-Jäger des Reviers. Selten, daß eine Leiche schon kalt ist, wenn er sie filmt, oder das Blut im Straßengraben schon getrocknet. Emotionen, Pietät, Diskretion kennt Wiebold nicht, ebenso wenig Angst, Sentiment oder gemütvolles Mitgefühl, so etwas kann er sich gar nicht leisten. Er ist ein stoischer Jäger, er muß dran sein, bevor die Sender ihre Teams schicken, d. h. notfalls Absperrungen überwinden, Polizisten ablenken, Flatterband überspringen, und dann: Draufhalten!
Wie Wolfgang das macht, daß er immer der Königsgeier ist, der als erster über der Katastrophe kreist? Diesem Geheimnis haben schon zig Reportagen, vom ZEIT-magazin bis zur ZDF-Doku, versucht, auf den Grund zu gehen. Gibt es ihn mehrmals? Hat er Mittelsmänner, Freunde in Polizeikreisen, einen Exklusiv-Draht zur Feuerwehr? Schwer zu sagen. Zu schlafen scheint er tatsächlich nicht, oder höchstens mal eine halbe Stunde am Ende des Monats, falls grad mal nichts los ist. Vielleicht ist das gut so, weil der Betrachter von Wolfgang Wiebolds Träumen möchte ich ja nicht sein! Ich meine: Was geht in der Psyche eines Mannes vor, der seit 30 Jahren tags und nachts ausschließlich Verkehrsunfälle, Massenmorde, Explosionen und Brände filmt? Das irre ist übrigens, daß Wiebold seine filmischen Brand- und Blutblasen keineswegs nur an die übelsten Privatsender verkauft: das von seinem Bildungsauftrag weitgehend unbeeindruckte Öffentlich-Rechtliche Fernseh, also ARD und ZDF, gehören zu seinen guten Kunden!
Und deswegen wiederum muß ich ihm ja auch dankbar sein! Nachdem die Gattin mal wochenlang im Katastrophengebiet von Enschede verschwand, jobhalber, hat sich meine Wirklichkeitswahrnehmung etwas in Richtung Zynismus verschoben. Hör ich von einer aktuellen Katastrophe, denk ich leider nicht als erstes an die Opfer, sondern frag die Gattin in der Nacht schlaftrunken: „Mußt du da jetzt etwa hin?“ – Zu meinem Glück winkt die Gattin in 95% der Fälle ab und murmelt: „Nee, der Wolfgang war schon da. Die nehmen das Wiebold-Material als NIF (= unkommentierte „Nachricht im Film“)!“ – Danke, Wolfgang! Dein Job ist ein bißchen eklig, aber … einer muß ihn ja machen, oder?
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