Eine kurze Soziologie der Trinkhalle


20061-5

Quelle: Brigite Kraemer, Fotoband "Die Bude. Trinkhallen im Ruhrgebiet",

Wie oft, wie schmerzlich habe ich sie in manchen Weltgegenden schon vermisst! Gut, in Chikago, Ill., USA,  da gab es die Liquor Stores, aber das ist ja nicht dasselbe, und nicht in jedem Fall sind es die Getränke, die aus sind. Manchmal fehln ja auch Zigaretten! Auch die ordinäre, ungemütlich neonbeleuchtete Tanke bietet nicht, was jene Institution gewährt, die Ruhrgebietler als Weltkulturerbe betrachten und als ein unverzichtbares Stück Heimat ohnehin: das Büdchen, offiziell – und in groteskem Widerspruch zu den Ausmaßen – gern Trinkhalle genannt, manchmal auch Verkaufshalle, nie aber Kiosk oder gar, komplett idiotisch „Snack Stop“. Man geht „am Büdchen“ oder grammatisch korrekter,„anne Bude“, um zu holen, was zwischen 6.00 Uhr morgens und 23.00 Uhr abends plötzlich irgendwie als bitter fehlend empfunden wird: Schokohörnchen, ein Ei, zwei Bounty, Kippen (…zwei Päckchen von diesen Apokalyptus-PallMall, weisse? Diese grünen...), Gewürzgurken, Erdnüsse, Bifi-Würstchen, Senf, Mongschéeri oder, bevor ihr noch denkt, da ist aber jetzt einer ganz schön schwanger!, – BIER. Bier ist ja rätselhafterweise zu den unmöglichsten Zeiten plötzlich keines mehr da! Sportschau, Pokal, Tatort auch oder Uefa-Cup, und in der Nachspielzeit hört man im Viertel den Jammerruf gellen: Bier is’ alle! Wieso is’denn grad gezz Bier alle? Menno! Kann ma’ vlleich einer am Büdchen gehen, Frischbier holn?!

Hat natürlich auch noch anderes als Bier, die Bude. Klar! Klaren beispießweise, also so Schnäpschen etwa, Apfelkorn, Rum für gegen Erkältung, Ouzo für nach’er Currywurst mit doppelfett Pommes rot-weiß, oder auch, warum denn nicht, ruhig mal Whiskey, für die Hartgesottenen. Bei uns im Viertel gibt es die nicht zu knapp! Ich mein: Man trinkt hier kontrolliert und mit Verstand, – dafür aber auch schon morns um acht! Nur gegen die Schmerzen natürch. A hair of the horse that bite you, wenn ihr versteht, was ich meine. Alte Trinkerweisheit, hehe. Also’n Schlückchen von dem, was dir diese fiesen Kopfschmerzen aufbrummt, bestrafungshalber. Funzt besser als Aspirin! Mit so’m Schlückchen floppt,  fluppt, quatsch!: flutscht man auch besser in den Tag! Vor allem, wenn man heute zum Amt muß oder zur Arge! Die bei der Arge sind hier nämich verflucht kalte Hunde. Wartmal, nee, Blödsinnn! scharfe, wollt ich sagen, schaaarfe Hunde. Die können nich’ gönnen, weisse! Assob datt  denen ihr eichnet Geld wär! Die sinn kniepig wie meine Omma mit die Erbschleicher vom Seniorenheim!

Eine Trunkhalle ist aber beileibe nicht nur eine Abfüllstation für Dehydranten und Verwüstete, oh nein! Das Büdchen ist eine sozi-al-päda-gogo-phile Sozialstation! Ein Dienstleistungsins-sti-tuut! Dattis praktisch verbetreutes Wohnen! Hier wird Sie geholfen! Hinter Drops, Alkopops und Erdnusslocken sitzt immer ein diensthabender Betreuer oder eine Betreuerin mit allezeit offenem Ohr für die Mühseligen, Beladenen und Belustigten, die Erniedrigten, Beleidigten, Querdenker und Querulanten der Nachbarschaft. Hier wird man ohneweiters zugehört, hier gibbes Trost & Rat, und alles, wasse brauchs! Per munitionem, nämlich! Wasse hier nich kriex, dat brauchsse au’ nich! Deswegen geht man auch immer zu dem Büdchen, das für die Betreuung des eigenen Straßenzuges zuständig ist, selbst wenn das jetzt so’n Jugo betreibt, oder Memmmet, weisse noch, der Bekloppte vonner Kupferhütte? Der hattat Büdchen anne Ecke gezz gepachtet!

Meissenz isses ja eh’n Bier, wasse drinx brauchs! Oder Schnäpschen, ei-nen Kuar-zen, bidde! Wat willze machen? Aabeit is’ ja nich’ mehr, und so’n Tach, der kann sich ziehn, der kann lang sein! Dat sacht dir ja gezz jeder Schulungsleiter: Du musst dein Tach struck-tuu-rieh-ren! Also am besten regelmäßig nachcher Uhr drei oder viermal mit dem geblüm-ten Baumwollbeutel anne Bude: Bier holn, oder maan Snäpschen, dann auch gleich, mit. Und für die Perle Packung Mongscheerie, damit die Dame dich gewogen bleibt, woll?!

Also, Prinziep is’ verstanden, oder? Sone Bude, weisse, die hat Per-söhn-lich-keit, die hat Seele, dattis gezz nich irgendson Dschopp, dattis praktisch ’ne Lehmseinstellung, dattis nich irnxsohn MäckDonalds oder watt, dattis sozusagen der Karl-Heinz, dattis die Irmtraud ihre Schwester oder meinetwegn zur Not dä bekloppte Memmmet. Da weisse, du wirss nicht übern Tisch gezogen, datis reell, da kannze in deine Hausschuhe hingehn, oder, ganz zur Not, aumaa im Schlafanzuch. Wenn, ma sagen, gezz ma middn inner Nacht dat Bier alle is. Musse den Memmet ehm rausklingeln. Dä hilft dich dann schon weiter. Dattis ja seine Aufgabe, als Büdchen!

 PS: Nö, das „Snack Stop“ am Brückenplatz sieht zwar von weitem aus wie eine Trinkhalle, und die Alkfraktion holt da auch ihren Stoff, aber die Leute hinterm Tresen können kein Deutsch, gucken finster und sind meistens unfreundlich und ob sie Seele haben, ist noch sehr die Frage. Da geh ich lieber zu meiner zuständigen Betreuungsbude in der Waltzenstraße. Über die demnächst mehr..

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5 Kommentare - “Eine kurze Soziologie der Trinkhalle”

  1. eichiberlin Says:

    Da staunt der Städter. Und spürt die Anonymität der Mega-Monster-Metropolis, in der die Berliner Eckkneipe eine aussterbende Gattung geworden ist.
    Wunderheitere Studie.

  2. joulupukki Says:

    Ich glaub, so was haben wir nicht. Also Branntweiner gibts natürlich. Mit prima Atmpsphäre. Aber da gibts halt außer Alk nur Alk. Und vielleicht noch ein Packerl Mannerschnitten. Aber so genau weiß ich das nicht…

  3. Neuköllner Botschaft Says:

    Ja, Miserabel – in Berlin sind die Ecken nicht mehr rund sondern stumpf – aber feucht sind sie doch…

  4. lakritze Says:

    Hach!

    Und gefliest sind sie irgendwie auch immer, vor allem außen.

  5. Afra Evenaar Says:

    Aber vor allem wissen sie über ihre Aufgabe Bescheid, als Büdchen.
    Ein Hochgenuss!


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