Bubikopf, Einschlafbier, demokratischer Fisch-in-Tomatensauce (Ein Gespräch über Madonnas Achselhaare)
Innerfamiliär schätzen wir das bekannte Gute Gespräch. Neulich beim Abendbrot haben wir uns in der Runde z. B. lange über Madonnas Achselhaare unterhalten. Einig war man sich insofern, daß Madonnas Style heute – also dieser Typ abgemagert-hager-sado-sehnige Fitness-Tucke – uns ja nun überhaupt nicht anmacht. Die Frau sieht aus wie eine sm-hardcore-lederlesbische Turnlehrerin im Stadium fortgeschrittener Unterleibsverbitterung! Dassisdonnich schön! flöteten wir unisono.
Ich gab dann damit an, daß ich mal das PLAYBOY-Heft von 1985 besessen habe, worin nachträglich Aktfotos der 17-jährigen Karriere-Beginnerin abgedruckt waren, die da noch Madonna Louise Veronica Ciccone hieß und ein reizendes italienisches Pummelchen-Frollein war, dazu südländisch-mediterran, also ungemein großzügig körperbehaart. Auf den künstlerischen (ha!) Schwarzweißfotos, ich erinnere mich erschauernd noch heute, stach ihr flamboyantes, lockig-buschiges, pechschwarzes Achselhaar einigermaßen provokant ins Auge. Unvorsichtigerweise gestand ich, dies damals „irgendwie auch sexy“ gefunden zu haben, worauf die 21-jährige Tochter des Hauses pantomimisch einen Kotzwürganfall andeutete und mich mit weit aufgerissen-überquellenden Augen puren Ekelentsetzens anstarrte, als hätte ich gerade zugegeben, von Sex mit Königspudeln zu träumen. So kamen wir auf das Thema Haare.
Nebenbei, Schwarzweißfotos und Haare: Frau Gülcan Kamps (26, Abitur in Lübeck) hat nicht nur im Fernsehen ihren Brötchen-Prinz geheiratet, sondern auch an der Quizsendung „Was denkt Deutschland?“ teilgenommen. Ausweislich eines Radiomitschnitts ist herausgekommen, was die VIVA-Moderatorin selber denkt. Sie denkt, auf Schwarzweißfotos sind weiße Haare schwarz und schwarze Haare weiß abgebildet. „Du meinst Negative“ hält man ihr daraufhin vor. „Nee, überhaupt nicht“, antwortet sie da, „ich mein das gar nicht negativ…!“
Haare gehören zu den evolutionär eigentlich längst überholten Sachen, um die Menschen ein dennoch riesiges Gewese machen. Es wird unentwegt gestylt, gelockt, getönt, gesträhnt, geföhnt, gegelt, gescheitelt, wachsen gelassen, abgeschnitten (stufig!) oder wegrasiert, aufgetürmt, verfilzt (dreadlox), kunstverstrubbelt (Schlingensief), geflochten und noch weißderteufelwas. Manche, wie der Internet-Prominente Sascha Lobo, gelen sich das Haupthaar zu einem feuerroten Irokesen und können ganz gut davon leben. Andere fühlen sich morgens suizidal, weil „einfach die Haare nicht sitzen“. Der aus haarigen Verhältnissen herausgewachsene Herrenfrisör Udo Waltz ist zur Kanzler-Beraterin und gefragten Society-Tucke aufgestiegen, weil er sich gut mit Ministerinnenfrisuren auskennt.
Frisuren sind derjenige Teil einer Weltanschauung, den man sehen kann: Glatzen (Skins, Neo-Nazis, Werbe-Fuzzis) und Vokuhilas (Zuhälter, Fußballprofis, Muckibuden-Betreiber) können bei der sozialen Einordnung des Gegenübers helfen; auf Heavy Metal-Konzerten sieht man im Schnitt 35% mehr Haare als bei einem Gig von Placebo oder Jan Delay. Ob Haare als hip oder gar „sexy“ empfunden werden, hängt von der Stelle ab, wo sie wachsen, und auch noch von Mode. Ich wuchs in Zeiten auf, als der Schnauzbart en vogue war, den später nur noch Polizisten trugen, leistete mir dann, weil es mit meiner Nasenlänge harmonierte, einen Bart à la Frank Zappa; noch später erwog ich die Anpflanzung eines Grunge-Ziegenbärtchens, was mir aber meine Frau geschmackvollerweise untersagte.
In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hielten es die subtilsten Erotiker der Republik für ungemein erregend, wenn eine Dame einen sog. Bubikopf trug. Es gab eigens von irgendeiner Hochkulturzeitschrift eine Umfrage unter Geistesgrößen, was man von so einer neumodischen Kurzhaarfrisur denn zu halten habe. Sogar Thomas Mann hat es sich damals nicht nehmen lassen, einige verschwiemelte Gedanken hierüber ins Schriftdeutsche zu stelzen. Noch Ernest Hemingway, der alte Männlichkeitshaudegen, Entenjäger, Kriegstrinker und Frauensäufer, kriegte sich erotisch gar nicht mehr ein, wenn er davon schrieb/träumte, mit einer Kurzhaarfrisur tragenden Frau zu schlafen. Es kam vermutlich seinen krypto-schwulen Neigungen entgegen; das Irisierende, Oszillierende und Irritierende von Mädchen mit Jungshaaren hat ihn genauso wie Thomas Mann schwer angefackelt.
Heute finden Mädels aller Frisurklassen und Haarkreationen die verdiente erotische Beachtung, vorausgesetzt, sie beherrschen den Umgang mit einem lady shaver. Das allerdings soll ein Muß sein. Die Rasierklingenschmiede und Rasierschaumschläger reiben sich schon seit einiger Zeit die geschäftigen Hände: Die großflächige Epilation haarwuchsverdächtiger Körperregionen wird im 21. Jahrhundert zur zivilisatorischen Selbstverständlichkeit und ästhetischen Hygienepflicht! Eine befreundete Vielbeschäftigte, die sich freimütig gewisse exzentrische Entspannungshobbys leistet, berichtete mir jüngst, im zeitgenössischen europäischen Porno-Film seien mittlerweile auch die meisten Männer bereits Vorreiter glattrasierter Rundumtadellosgepflegtheit, und zwar durchaus auch, wie die Freundin mit hochgezogenen Brauen erläuterte, „unten rum“! Der ethno-anthropologische Beobachter registriert diese Entwicklung mit wohlwollendem Interesse.
Ein anderer Freund überraschte mich mal mit der emphatischen Behauptung, es sei für ihn „Demokratie“, daß er das verbriefte Recht hätte, nachts um drei Uhr noch eine Dose Fisch-in-Tomatensauce zu öffnen und zu seinem Einschlafbier genüsslich auszulöffeln. Als ich einwendete, meines Wissens hätte noch kein Diktator der Welt Fisch-in-Tomatensauce verboten, noch auch den Nachtverzehr desselben reglementiert, patzte er zurück, ich hätte eben einen anderen Freiheitsbegriff. – Für mich ist eher Demokratie, daß in der offenbar strikt geordneten und durchkategorisierten Welt der Internet-Pornographie inzwischen schon wieder auch für passionierte Behaarungsinteressierte eine Nische mit Bildern und Filmchen bereitgehalten wird, die Frauen von der Art der jungen Madonna Ciccone beinhalten. Vorbei die Zeit der genormten Einheitserregung! Laßt hundert Blumen blühen! Bzw. Neigungsnischen locken. Übertrieben finde ich bloß, wenn Männer sich neuerdings nicht nur die Beine rasieren, sondern auch die Brauen in Form zupfen. Solch effeminierten Spleen pflegte man meines Wissens zuletzt in der römischen Spätantike, und was aus dem Imperium dann geworden ist, wissen wir ja.
Den PLAYBOY mit den Madonna-Bildern habe ich irgendwann eingetauscht, gegen eine Mundharmonika. Zum Glück kursieren die Fotos aber noch im Internet.
This entry was posted on 10. Juli 2009 at 4:46 PM and is filed under Aus dem Kulturbeutel älterer Jugendlicher, It's a women's world, Kraskas dezente Erotica. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Achselhaare, Aktfoto, Anthropologie, Bubikopf, Demokratie, Diktator, Ernest Hemingway, Erotik, Ethnologie, Fisch-in-Tomatensauce, Foto, Frank Zappa, Frisur, Fußballprofi, Gülcan Kamps, Grunge, Haare, Heavy Metal, Internet-Porno, Jan Delay, Königspudel, Körperbehaarung, Konzert, Lee Friedlaender, Madonna, Mode, Negativ, Placebo (Band), Playboy-Heft, Polizei, Porno, Rasur, Römisches Reich, Sascha Lobo, Schamhaarrasur, Schnauzbart, Schwarzweißfoto, Sex, Spätantike, Stilikone, Style, Thomas Mann, Udo Waltz, Vokuhila-Frisur, Zuhälter
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10. Juli 2009 um 7:18 PM
Also rasierte Männer finde ich sehr unerotisch, bin schließlich nicht pädophil.Allerdings kannte ich mal einen Herren,der hatte nur eine Augenbraue…da kann man doch ein wenig nachhelfen, oder? Und jetzt gibt es „Brasilian waxing“ also auch kein Härchen mehr an Schamlippen und Popo.Aua!
10. Juli 2009 um 8:58 PM
Wie denn nachhelfen? Mit einem Augenbrauentoupet?
10. Juli 2009 um 9:00 PM
Ähm.. nein, seine 2 Brauen waren zu Einer verwachsen….
10. Juli 2009 um 9:04 PM
Ach so, so wie bei Ernie (von Ernie und Bert aus der Sesamstrasse)?
11. Juli 2009 um 2:14 AM
Genau!!!
Aber auch der Rücken hat seine Tücken! Ein behaarter Buckel ist nun mal einfach unerotisch. aber grämt euch nicht, was wir Frauen da mitmachen sollen ist wesentlich schlimmer!!!
18. Juli 2009 um 1:38 PM
@hyke: ich vermute mal, pädophile würden eine/n ganzkörper-rasierte/n 60jährige/n nicht annähernd so interessant finden wie eine/n natürlich unbehaarte/n 10jährigen. mit solchen schlüssen sollte man ein wenig vorsichtig sein.
aber rasierte bzw. ziselierte oder gewachste augenbrauen bei männern geht gar nicht. ich bin doch nicht schwul ‚-)
18. Juli 2009 um 9:48 PM
Als ich kürzlich bei der guten alten Tante ZEIT einen Artikel über die (psychischen) Gefahren der Intimepilation las, dachte ich noch, das ist das Sommerloch. Nun vermute ich allmählich, ich verpenne da ein gesellschaftliches Phänomen –?!
Und rasierte Männerbeine, gezupfte Herrenbrauen — wem’s steht: wieso nicht. Wäre aber schade, wenn das plötzlich jeder machen zu müssen glaubte.
18. Juli 2009 um 10:05 PM
Ja, kaum hatte ich darüber geschrieben, zogen plötzlich alle (SPIEGEL, ZEIT, TAZ etc.) nach mit dem Thema; das lag an irgendeiner Studie der Uni Leipzig (die ich gar nicht gelesen hatte). Fazit: Bei Kraska sitzt man immer in der ersten Reihe! (Und mit den Dritten kaut man besser!)
Aber wieso PSYCHISCHE Probleme mit Rasur??
19. Juli 2009 um 10:41 AM
Tjaha, ZEIT-Leser wissen mehr …
http://www.zeit.de/2009/29/Schoenheit
Ich glaube, psychische Probleme vor allem deshalb, damit angejahrte Redakteure mit dem Kopf wackeln und den diktatorischen Zeitgeist beklagen können. Oder doch irgendwie andersrum?
Ja, auch egal. 🙂
19. Juli 2009 um 10:43 AM
(Den aufgeblähten gelben »Smiley« bitte ich zu entschuldigen; den hab ich da so sicher nicht hingemacht.)