Jour Fixe bei Winterseel (8): Kunstdouble im Blutbusiness
KONOPKES JOB
für jou
Die Nachricht schlug im Salon ein wie eine im Gottesdienst geworfene Wasserbombe: Enver Konopke, unser selbsternannter Paradiesvogel, der einmal einen mehrtägigen Schluckauf bei Altlyriker Anatol Blankenvers ausgelöst hatte, indem und weil er sich selbst als „metaphysisch unbehost“ bezeichnet hatte, Konopke also, der unverbesserliche Schnorrer und durch langjährigen Alkoholmissbrauch stark verwirrte (Konopke: „Wieso’n jezz ditte? Missbrauch is höhssens, wennssu dich damit die Füße einreibst!“) Sohn eines preußisch-protestantischen Pedanteriewarenhändlers aus Rixdorf, hatte neuerdings, so mussten wir trotz aller ungläubigen Verblüffung realisieren, einen Job! Einen veritablen Arbeitsplatz! Und zwar, wie er kryptisch per unfrankierter Postkarte mitgeteilt hatte, „im Auslandseinsatz, höheren Orts in der allerobersten Welt-Kunstszene“! Erregt bestürmten wir Frau Geisträtin Mag. Isolde Kobloch-Gumpertting, Winterseels alte Integrierte-Gestalttherapeuttin, Psychoanalytikerin und Holographologin aus Wien, die uns die gute Botschaft mit verschmitztem Lächeln erläuterte: In der Tat sei Konopke, der religiös so hoffnungsfern Verwahrloste, bei einem mehrtätigen Casting auf Schloß Prinzendings als einer von mehreren Doppelgängern eines berühmten, nichtgenanntwerdenwollenden Wiener Malers und para-mystischen Aktionskünstlers engagiert worden!
Ein paar Augenblicksmysterien lang senkte sich eine Stille über den Salon, daß man das räuspernde Knospen, Knispeln und Knobeln von Milliarden Synapsen hören zu können meinte. „Neiiin!“ kreischte es dann, Sven Aaron Mangold, der Einserjurist, war wieder mal der Fixeste, „neiiin! Vom Nitsch? Doch nicht vom Nitsch, oder? Vom Blut-und-Hoden-Nitsch?! Konopke und … Nitsch??!“ Die Wiener Seelenprofessorin schmunzelte mit jenem unnachahmlich unergründlichen Analytiker-Gesichtsausdruck, den sie, dem Ondit nach, noch von Sigmund Freud selbst in mehrjähriger Lehranalyse übertragen bekommen hatte, und schwieg zur beredten Antwort ihr aufmunternd-vorurteilsfreies Ich-höre-Ihnen-zu-Schweigen.
„Wie? Wie’n Wien? Wassn? Wer issnn-ndieser Nnüscht?“ fragte Miss Cutie aufgeregt in die Runde. Sie schnupfnäselte noch, nach ihrer in einer Schönheitsnase mündenden Beauty-OP. Ironischerweise waren es ausgerechnet die Aquavit-Zwillinge, die schon mal einem „Orgien-Mysterien-Theater“-Spiel des berühmten Aktionskaspers Hermann Nitsch beigewohnt hatten. Verstanden hätten sie damals Nitsch nicht, nix, nüschte, aber es sei sehr sinnenaufpeitschend, mystisch, mythologisch, liturgisch und para-ekklesiastisch, eklektizistisch und sogar auch etwas bemüht pseudo-dionysisch-orgiastisch zugegangen. Oder, um es mehr in der genuinen Ausdrucksweise der Aquavit-Zwillinge zu formulieren: Es war wohl in jeder Hinsicht „eine ziemliche Sauerei“ gewesen, bei dem mit dem Blut und Gedärm einer geschlachteten Sau herumgeschmiert worden wäre und, so Hauke, „so’ne s-plitterfasernackte Christussi hatten sie doa an so’n SM-Kruzifick-Kreuz angebunnen, und die mußte denn so’n ganzen Humpen Schweineblut runnerschlucken…“ – „Bah! Näh, was fürn Schweinkram!“ krakeelte Oma Hager im Brustton tiefsten Angewiedertseins dazwischen. Hinnerk ergänzte noch, man hätte zu dem Spektakel noch „so nebelartige Waber-Klang-Musik-Mansche“ gespielt, „so elektronische Softporno-Musik wie bei ‚Schulmädchenreport’“. (Hauke korrigierte: „Du meinz Emmanuelle Teil III!“)
„Und was hat nun unser Kamerad, der olle bekloppte Konopke, mit diesem Schweinkrämer zu tun?“ brachte Blankenvers die Diskussion wieder auf den Punkt. Nun, dies war rasch erklärt. Originalkünstler Hermann Nitsch sei es seit seinem 70. Geburtstag unendlich leid, überall den impertinent-beleidigenden, unverschämt-anmaßenden, nichtganzvondieserweltseienden Kunst-Naturburschen und Hundsbua zu geben. Das unentwegte Leute-Beleidigen, Kapriziösitäten-Vorgaukeln und Assistenten-Herumschubsen sei ihm in seinem Alter nicht mehr allein zuzumuten! Daraufhin sei die Entourage des Meisterswingers und Profi-Orgiasten auf die Idee verfallen, nach kleinen, drummeligen Opas mit grauem Bart und irrem Blick zu suchen, die evtl. nicht ganz richtig im Kopf, emotional instabil und metaphysisch beschlagen genug seien, um Nitsch an drei Abenden der Festspielwoche überzeugend zu doubeln und zu vertreten. Ende vom Lied: Enver Konopke hatten sie vom Fleck weg genommen und eingestellt! Mit Vertrag, Sozialversicherung und Ausfallgarantie!
Traurigkeitslehrer Arnold Winterseel, wie immer bemitleidenswert fröstelnd in sein schwarzes Samt-Sakko gewickelt, war gerade zur Tapetentür eingetreten, als aus dem Hintergrund eine straffe Sportsdame, die – wenn Fredi Asperger, der mir diese Information steckte, das denn mal richtig verstanden hatte –, als Modezarin firmierte und ihre Abstammung auf etwas undurchsichtige Weise vom finnischen Weihnachtsmann (?!) ableitete, mit einer Frage den verqualmten Luftraum durchschnitt: „Ist denn dieser Herr Konopke, wenn er von der Kunstwelt als Kunst-Nitsch akzeptiert wird, somit denn nun selbst auch als Künstler zu betrachten? Oder ist das vom Nitsch-Double Konopke vergossene Schweineblut weniger dionysisch-mysterien-orgiastisch als das vom Original-Nitsch verschmierte?“
Dr. Wintersell räusperte sich, um zu einem Vortrag über Ontologie, Semiologie und Phänomenologie des Orginalkunstwerks, der Kopie, der Fälschung und des Selbstplagiats anzusetzen, als die Amazone einfach weiter schwadronierte: „Weil, nämlich, ich kenn da einen angeblichen Star-Künstler, Cy Twombly, den gibt es in Wirklichkeit gar nicht, den hat man bloß erfunden, um mal zu testen, was fürn doofes uninspiriertes Gekritzel man den Leuten noch als Kunst verkaufen kann!“ Abermals stieg – wie „weißer Nebel wunderbar“ – Stille empor zwischen den Sitzgruppen. Diesesmal handelte es sich jedoch nicht um eine Schwingung des sprichwörtlichen Engelsflügels, sondern um frostig peinliche Betroffenheit. Alles starrte gebannt auf Winterseel, der, wie jeder sonst wusste, enger Freund und autorisierter strukturalistischer Exeget Twomblys gewesen war, und an dessen Stirn jetzt eine Vene deutlich pochend hervortrat. – Der fällige Vulkanausbruch blieb jedoch aus.
Winterseel seufzte nur milde und murmelte: „Gewiß, liebes Kind, der Meinungen sind viele, in Sonderheit der irrigen, aberwitzigen oder sonst der Häresie, Blasphemie oder Hebephrenie verdächtigen…! – Still, einer jeder in sich gekehrt, gingen wir an diesem Abend heim, allerlei Denkwürdigkeiten wägend.
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22. Juni 2009 um 12:20 AM
*pruuust*
Und es gibt ihn doch … NICHT!
Wirst schon sehen. Am Ende seiner Tage wird Herr Schlingensief Euch vermeintliche Kunstversteher und Picassoflüsterer alle betropezt im Regen stehen lassen, wenn er sein letzte, spektakulärste, alles übertreffende aktionistische Schandtat offenbaren wird: „Cy is a fake!“ Pah! Sprachs und hauchte sein Leben aus, mit einem niederträchtig schadenfrohen Grinsen auf den Lippen. Wohlwissend, dass er den Lynchmob noch einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
22. Juni 2009 um 6:38 PM
Jou…
Unglaubliches ist passiert. Cy lebt doch, behauptet zumindest ein gewisser Niklas Maak, der versucht, in seinen Texten einen gewissen Herrn Kraska zu imitieren:
„Es blieb lange hell an diesem Abend. Twombly machte ein paar Italiener nach, die „Ciao Mamma, come vai“ in ihre Mobiltelefone krähten. Am Strand tobte ein netter dicker Römer mit seinen dicken Kindern durch den Sand und machte einen Höllenlärm; eines der Kinder machte einen Handstand, und die dicke Familie lachte und schrie herum und fuchtelte und freute sich. „Schau dir diese Boteros an“, sagte Twombly, und so, wie er es sagte, war selbst das keine Beleidigung, sondern eine Liebeserklärung an das Land, in dem er, zurückgezogen aus der Welt, seit fast fünfzig Jahren lebt“
Großartig ! Wunderbar ! Das ist Kunst !
Oder ist Cy Twombly womöglich eine Erfindung von Herrn Maak, der wiederum eine Erfindung von Kraska…
Ich krieg Kopfweh !
22. Juni 2009 um 6:47 PM
Man lese doch bitte meinen Semiotik-Guru Roland Barthes, der zwei (!) Essays über seinen Freund Cy Twombly geschrieben hat. Freunde erfindet man donnich! Und wenn, sind es große Hasen, die Harvey heißen!
22. Juni 2009 um 6:54 PM
Beziehungsweise, na gut: EINEN Freund HABE ich erfunden, den Autisten und Mikado-Mathematiker Ferdinand „Fredi“ Asperger, der in Wahrheit ein ganz anderer Mann (zufällig gleichen Namens!) ist…
22. Juni 2009 um 7:57 PM
… und Kraska ist auch eine Erfindung. So, jetzt hab ichs verraten! :-p
22. Juni 2009 um 8:02 PM
Na und? JEDER MENSCH ist eine (seine) Erfindung! Davon ab: Bruno Kraska kenne ich persönlich! Und er ist einer von den Guten! So!
6. Juli 2011 um 9:26 AM
Und jetzt ist es amtlich: es gibt ihn nicht (mehr), den, den es nie gab!
6. Juli 2011 um 9:48 AM
Tja, selbst Fiktionen können Krebs kriegen und sterben… Bedenklich!
23. Juni 2009 um 3:18 AM
auch wenn duisburg und josfsstadt der botschaft dz unerreichbar: «ziemliche sauereien» jibt et auch demnäx in der hauptstadt:
http://sukkulent.wordpress.com/2009/06/23/kapielski/
et alia
23. Juni 2009 um 6:31 AM
Danke für Kapielski, den gläubigen Thomas! Obwohl ich ihn, ähnlich wie Max Goldt, lieber lese, als ihm zuhöre. Zwar kann man beiden nicht, wie Du dem Poppoeten, „Kotzbrocken-Koketterie“ unterstellen, aber doch eine klitzeklein, aber doch sichtlich durchschimmernde Selbstgefälligkeit. – Man soll aber nicht suchen, sich zu gefallen, sondern den anderen! Man lebe von Applaus, aber nicht vom eigenen!