Kartoffeln und Hosenträger
In memoriam:
Andreas Kolvenbach
Ein Mann mit Überzeugungen ist einer, der von der Welt exakt die zwei Kartoffeln sieht, die er sich mit seinen Hosenträgern selbst vor die Augen geschnallt hat. Möglicherweise beklagt er auch die plumpe, muffige Kartoffelhaftigkeit der Welt? Vielleicht ist er stolz auf die Elastizität seiner Hosenträger? Kann auch sein, er hält die Welt für eine Stereo-Kartoffel, einen rundum dummen kartoffeligen Planeten, kurz: einen Erdapfel halt. Kartoffel, Kartoffel, Kartoffel: Das liebenswerte, nahrhafte Nachtschattengewächs kann viel Freude bereiten, aber machen wir uns nichts vor: Als optisches Mittel ist es wenig geeignet! Sprichwörtlichen Durchblick schreibt man Kartoffeln nicht zu, obwohl sie „Augen“ besitzen. Auch wer Tomaten auf den Augen hat (ebenfalls ein Nachtschattengewächs!), klagt oft über mangelnden Überblick, aber dicke Kartoffeln sind noch besser, wenn es gilt, dumme Bauern zu züchten. Kartoffeln haben viel Stärke, verleihen eventuell auch welche, aber ihre Transparenz ist so ziemlich gleich Null. Sicht? Nüschte. Kartoffelbrillen, sollte man meinen, würden sich nie durchsetzen.
Hosenträger dienen der inneren wie der äußeren Sicherheit. Sie sind der Sicherheitsdienst des kleinen Mannes. Oder des pummligen. Sie tragen nicht nur die Hosen des jeweiligen Hosenträgers, sie verschaffen ihm auch das ermutigende Gefühl, nichts verlieren zu können. Wer mit dem genetischen Defekt geboren ist, daß ihm immer das Hemd aus der Hose rutscht, der findet Trost in einem Paar Hosenträger. Angsthasen und anale Zwangscharaktere erkennt man daran, daß sie Gürtel und Hosenträger gleichzeitig verwenden. Striktes Sicherheitspaket in Zeiten der Terrorgefahr: Doppelter Hosenschutz! Wie die gütigen Hände strenger Eltern halten Hosenträger am Hergebrachten fest: Nachgiebig, aber kompromißlos.
Manchmal kommt es vor, daß es einem wie Schuppen von den Augen fällt: Wie dumm, wie verbohrt, wie eitel man war! Damit das mit den Kartoffeln nicht auch passiert, schnallt man sie vor den Augen fest. Ein tragbares Labyrinth, aus dem man dank der eigenen Hosenträger nicht mehr herausfindet. Blindheit to go, sozusagen. Mir macht keiner was vor: Ich mach mir selber was vor: Zwei Kartoffeln, fest aufs Auge gedrückt – fertig ist eine solide, bodenständige Weltsicht. Wenn schon Scheuklappen, dann blickdicht.
Das Foto inszenierte und schoß mein Neffe Andreas Kolvenbach (geb. 1968) zu Beginn seines Fotographiestudiums. Er starb, von langjährigen Depressionen gequält, ohne sein Talent noch entfalten zu können, 2004 unter ungeklärten Umständen.
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8. April 2009 um 1:39 PM
Wer ist denn das Modell ?
Darf ich raten ?
Dann sag ich mal Rosa von Praunheim.
8. April 2009 um 1:56 PM
Prosa von Sauheim
8. April 2009 um 3:39 PM
Herr Kraska, so kryptisch ?
Hab ich richtig geraten ?
8. April 2009 um 3:47 PM
Keine Ahnung. Ich kenne das Modell nicht. Irgendein Student aus Dortmund, schätz ich. Die Kartoffelsorte weiß ich auch nicht…