Altchinesische Liebeskunst: Die schärfsten Stellen!
ÜBERLISTET! DIES IST ÜBER LISTEN…
Das Schriftzeichen shi (sprich etwa: che) bedeutet Umstand, Situation, Vermögen, Potential. Es läßt sich gemeinhin in jeder Erörterung strategischer Operationen (Krieg, Politik, Sex, Tee kochen, Fische fangen, Schuhe kaufen etc.) verwenden. In speziellerer Hinsicht bezeichnet shi auch die Veräußerlichung der inneren Kraft, die vom zentralen Atem ausgeht und sich durch die ganze Verkettung systematisierter Haltungen und Handlungen hindurch entfaltet. So auch beim Sex, dem die alten Chinesen ihre elaboriertesten, subtilsten und duftigsten Gedanken widmeten.
So erstellt der unbekannte Meister der Tang-Zeit (7.-9. Jahrhundert) in seiner berühmten „Kunst des Schlafzimmers“ die umfassende Liste der dreissig Stellungen beim Beischlaf als Liste von shi auf, die alle möglichen Fälle, Vorlieben und Befriedigungsdenkbarkeiten abdeckt. Zum aufknospenden Frühling, sozusagen als erotische Frühlingsrolle, hier die neun schärfsten und heißesten Stellen bzw. Stellungen:
Das „Abspulen der Seide“,
Der „Drachen, der sich einrollt“,
„flatternde Schmetterlinge“,
„umgekehrt fliegende Enten“,
„die mit ihren Zweigen bedeckende Pinie“,
„Bambusstöcke vor dem Altar“,
„fliegende Seemöwen“,
“Luftsprung wilder Pferde“,
sowie, für ganz Verwegene,
das „Streitroß im Galopp“!
So, genug Sex als Teaser. – Für die Zigarette danach noch eine Zugabe. François Jullien bemerkt ganz zu recht: „So unterschiedlich ihr Inhalt auch sein mag, wir können uns eines bestimmten Gefühls der Befremdung nicht erwehren, wenn wir diese Listen anschauen. Während die einen absolut einförmig und regelmäßig sind, treiben andere ihre Heterogenität an die Grenze dessen, was ‚vernünftigerweise’ kompatibel ist.“
Eine solche sehr heterogene, hinreißend hirnrissige, bzw. recht poetische und denkwürdige Liste tradierte Jorge Luis Borges einst als „gewisse Chinesische Enzyklopädie“, derzufolge
„die Tiere sich wie folgt gruppieren:
a) Tiere, die dem Kaiser gehören,
b) einbalsamierte Tiere,
c) gezähmte,
d) Milchschweine,
e) Sirenen,
f) Fabeltiere,
g) herrenlose Hunde,
h) in diese Gruppierung gehörende,
i) die sich wie Tolle gebärden,
j) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gemalt sind,
k) und so weiter,
l) die den Wasserkrug zerbrochen haben,
m) die von weitem wie Fliegen aussehen.“
Wer jetzt zum Frühling mal weltanschauungsmäßig einen Tapetenwechsel braucht, der sollte einmal ungescheut beginnen, die Dinge seiner Umwelt ein wenig anders zu sortieren bzw. umzugruppieren. Verfertigt Listen, es lohnt sich! Oder, meinetwegen, macht mal wieder den „Luftsprung wilder Pferde“, wenn Euch danach ist!
This entry was posted on 2. April 2009 at 3:22 PM and is filed under Bizarres aus der Denkfabrik, Kraskas dezente Erotica, Notizen. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Borges, chinesische Liebeskunst, Listen, Ordnung der Dinge, Sex, Taxinomie der Dinge, Tiere, Weltanschauung
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2. April 2009 um 10:37 PM
hier der livestream zu “ ich geh heut mit mir in`s Bett:
http://make.tv/republica2009/embed
2. April 2009 um 11:00 PM
@donqyxote: Aaaalso… von allen tausendfünf Kontakten, die ich sehr mag, und mit denen ich versuche, zu kommunizieren, überforderst DU, Frau Gletscher, mich regelmäßig: Ich ab schon WIEDER KEINE AHNUNG, was Du mir sagen willst…! Ginge es nicht auch eine Spur weniger „um die Ecke“?
3. April 2009 um 7:49 AM
Meister K, tut mir leid, das ist ein Schwurbelzitat aus der verlinkten Liveübertragung der öffentlichen Twitterlesung der „digitalen Bohème“ in Berlin. Es gab auch Schärferes: einer wünschte sich gar erotisch/pornographisches in sein einsames Zwitschi-Nestchen. Der Gewinner wurde per Akklamation ermittelt und erhielt (ich schwör) einen , mit Zubruvka-Wodka gefüllten, gravierten Wanderpokal.
Das wird nur durch dein historisches „shaking the hand of Enver“-Foto getoppt.
3. April 2009 um 11:26 PM
Ich falle eindeutig in die Kategorie m. Also zumindest wenn das „von weitem“ auch weit genug ist…
Dem unbekannten Meister der Tang Zeit möchte ich aber lieber nicht begegnen, klingt schrecklich anstrengend.