Eiertanz und Korkaklık
Uiiihh, und ich hatte schon Angst, wir haben heute wieder Demo hier. Allahu achtbar, undsoweiter, ihr wißt schon, die Leute, die Peter Sloterdijks Wort von der nationalen Erregungsgemeinschaft noch nie gehört, aber schon immer so reagiert haben. Beim letzten ARD-Tatort, der unsere türkischenundkurdischen Mitbürger (so sagt man, wenn man ihnen „grün“ ist) einbezog, löste Zwergenaufstände, Wasserglasstürme und Reisebuskarawanen zu Großdemonstrationen aus! Wer behauptet, selbst in jener ethnischen Gemeinschaft ethisch Sonderbegabter gäbe es möglicherweise hier und da mal einen Kriminellen, ist ein bösmülliger Volksverketzerer! (Ich muß mir unbedingt mal türkische Krimis ansehen! Sind da die Mörder immer fremdstämmig? Armenier vielleicht? Oder Juden?)
Der Tatort von gestern, aus Bremen, mit dem Titel „Familienaufstellung“, ist eigentlich ein alter Hut. Er ist schon was älter, „Gutes vom Vortach“, wie wir im Ruhrgebiet sagen. Er sollte schon im letzten August laufen, aber das konnte man dann nicht durchziehen: Nicht genug Traute, kein Mumm, die Hosen waren voll, der Kanal … behalf sich mal lieber mit Konserve. Man fürchtete bei der ARD um den Blutdruck der stämmigen türkischstämmigen Sperrminorität. Ehe wir jemandem auf den Schlips treten, nehmen wir lieber Fettnäpfchen.
Letztere haben Autorin Thea Dorn und die beratende feministische Anwältin Seyran Ateş versucht, sämtlichst sorgfältig zu umgehen. Die Gangart, die dabei entsteht, nennt man: Eiertanz. Pingelig wurde ein Anti-Klischee ans andere gehäkelt: Türkische Großfamilie, ja, aber schweinereich und arriviert, integriert und mit korrupto-politischen SponsorenVerbindungen in den Senat; die Weiblichkeit trägt Prada-Kopftuch und alle sprechen perfekt deutsch. Selbst das erste Mordopfer bescheidet den grummelnden Bruder mit einem erfrischend deutsch-damenhaften, akzentfreien „Leck mich!“ Frau studiert kopftuchlos Medizin, Mann ist sogar Deutscher, und der Pate bzw. Patrron oder Pascha vom ganzen Salat wird von Erol Sander gespielt, der migrationsdeutschen Dressman-Ausgabe von Barbie-Ken, ein Armani-Anzug mit dem Gesicht eines Unterwäschemodels, welches (das Gesicht) er sonst in diversen Landarzt- und Wolfgangsee-Schmonzetten vermietet.
Die Story war ganz auf political correctness geschneidert, saß also etwas spack, weil überkonstruiert bis zur totalen Unwahrscheinlichkeit vulgo Unglaubwürdigkeit. Der in der Realität tausendfach vorkommenende, von der Familie beschlossene und vom jüngsten, noch strafunmündigen Sohn verübte Ehrenmord durfte nicht sein – er wär ja ein „Klischee“ gewesen.
Trotzdem wollte sich interessanterweise lieber kaum ein türkischer Schauspieler für die hochbrisante Sache casten lassen. Die strenge böse Mutter wurde von einer Wienerin gespielt, deren Wurzeln, gut sicht bar, iranisch waren; der fiese ältere Sohn: ein Deutsch-Tunesier; die türkische Rechtsanwältin (2. Mordopfer): eine Ungarin. Und die mordende jüngere Turk-Tochter ließ man vorsichtshalber gleich von einer Deutschen spielen. Immerhin: Erol Sander lebte von seiner Geburt an fünf Jahre in Istanbul, bis die Stationen München, Paris und London folgten.
Übrigens, ich hab nachgeschaut im Lexikon: Für „Ausgewogenheit“ gibt es im Türkischen gar kein Wort. Für Feigheit schon: Korkaklık…
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9. Februar 2009 um 4:30 PM
Danke Kraska,
für diese Beschreibung des Eiertanzes.
Wir haben uns zwischendurch gefragt, ob man sich solch einen Film antun muss, aber dann wollten wir doch wissen, wie er ausging…
Das beste an diesem Tatort war noch der Parson Russell Terrier Paul, in dessen Gewitztheit durchaus unsere Jackie wiedererkannten 🙂
10. Februar 2009 um 8:42 AM
Ja klinisch rein, wie die Hochglanzausgabe von Vogue, deine Beschreibung deckt sich mit meiner Wahrnehmung.
Hat mir super gefallen, nicht der Film – Deine Beschreibung !