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Das wahre Leben (ist nicht empfehlenswert)

18. September 2011

Wenn mir echt GAR nichts einfällt: Eigen-Nase in die Kamera

Huihh, puh, endlich! Darf nach öder Sommerpause wieder den Engel der Verwaisten, Bekloppten und Bescheuerten im Geddo spielen. Die Flaute bedrohte mich schon mit narzisstischer Störung! Aber jetzt ist alles gut, – d. h. also schlimmer denn je. Erstens ist der komplett wahnsinnige, aber beängstigend lebenstüchtige Rombach wieder da, der energetisch-meschuggene Querulanten-Prozess-Rentner mit „doppelt beiderseitig Lunge im End-Stadion“, der in Ägypten erwartungsgemäß seine Perle nicht wiederfand, sein Geld nicht mal ansatzweise wieder einspielte und ferner schwerstoperiert resp. lungenmäßig halbiert jetzt nur noch raucht, wenn er vorher eine Morphin-Tablette eingenommen hat. Immerhin ist er jetzt der braun gebrannteste Krebspatient, den ich kenne.

Ich durfte schon wieder eine kleine Übersetzung für ihn machen, aus dem Deutschen ins Internationale, und zwar einen Drohzettel an einen nigerianischen Dealer am HBF. Ich habs, glaub ich, ganz gut hingekriegt und auf Englisch heißt es ungefähr so: „Ey, Fucker! Don’t’cha sell any drugs further to A***, ’cause she’s observed by german drug police authorities! Otherwise I’ll smash your head on the wall and put the pieces of your shit head in your fucking asshole, you dirty motherfucker!“ Ich hoffe, ich habe Intention und Impetus stimmungsmäßig ziemlich original rübergebracht.

Rombach hat nämlich einen neuen Schützling, A*** (20), polytoxikomanische Junkie-Nutte, die ihn schon mehrfach ausgeraubt hat. Rombach ist wie ich: Er will einfach nicht lernen! Immer bloß Welt retten und gefallene Engel auf therapeutische Rosen betten. Wir beknackten Weltretter lieben so was. Einen Augenblick war ich versucht, ihm klar zu machen, dass es in unserer Stadt ca. 20.000 Drogen-Dealer gibt und er soviel Drohzettel gar nicht mal drucken kann, geschweige denn in schmutzige Hände drücken, aber ich hab’s dann gelassen. Die Lust, Menschen Illusionen zu nehmen, ist mir komplett vergangen. Wer bin ich denn.

Spät abends aber dann noch voll den Schutzengel gemacht. Schieb gerade mein Rad in den Hausflur und seh im aufflammenden Treppenlicht, wie eine ertappte Motte, Pitti (70), den frisch verwitweten und verzweifelten Ex-Hausbesorger durchs Treppenhaus geistern, die circa bummlig 28. Flasche Alt in der rechten, mir mit der linken Hand wattig zuwinkend, wie er, elegant in der Hüfte einknickend, mir Hopp! Hopp! Hoppfff! Rabumms! die Stufen entgegen stolpert, taumelt und rumpumpelt, auffm Arsch, um’s deutlich zu sagen. „Datt is, weil hier de Motten reinkommen“ begründet er seine momentane Stehschwäche etwas unmotiviert. – „Kenn ich, Pitti“, repliziere ich begütigend, „DIE Motten hatte ich auch schon mal!“ und rette ihm dann geistesgegenwärtig den Oberschenkelhals. War knapp. Jetzt sitzt er sicher unten im Hof, neben seiner Gattin in Form einer DM-Markt-Plastik-Totenkerze, trinkt Bier und saugt aus dem herbstlich warmen Abend den letzten Bodensatz abgrundtiefer Traurigkeit.

So, Geddo, was noch. Özgür steht im Schlafanzug in meiner Studierstube, rollt wild mit den Augen, sträubt den Schnauzbart und ringt die Hände. Mein Vorwurf, seine wahrscheinlich „scheiße verschweißten Rohre“ hätten meine Bude geflutet, kränkt ihn zutiefst in seiner anatolischen Ehre. „Ağabey“ (sprich: „Aaahbii!“) sagt er, die Hand auf dem schmerzenden Herzen, „vallah, isch schwör, das nich mein Wasser!“ Stimmt. Muss ihn rehabilitieren! Schuld war eine kaputte Heizung. Ich bescheinige hiermit anatolischen Schwarzarbeitern, die gewissenhaftesten Rohrverschweißer Europas zu sein, die ich nur wärmstens empfehlen kann.

Herr Ezme, vormaliger Kunstmaler aus Antalya, jetzt Multitasking-Hausmeister in Deutschland und praktizierender Alltagsphilosoph, schweigt weise, beäugt still den Wasserschaden, kratzt sich wie ein perfekter Bergmann am Kopf und sagt schließlich begütigend zu Özgür: „Na, weißt, Ağabey, bei DEIN Hottentottenhaus kann man ja auch nie wissen…

Im Park ist Ahmed unterwegs und will mir für 10 Euro einen iPod verticken. Sein Verkaufsargument: „Hab isch selbz geklaut“ zieht bei mir ja nun gar nicht. Ich hab nämlich schon einen iPod. „Aber, Bruder, Alder“, spricht Ahmed mit Emphase und legt die Hand aufs Herz, „wir sind hier im GEDDO! Für dich 5 Euro, Brrruder!“ Mein Herz bleibt kalt. „Mann, Alder“, flucht Ahmed, „ich brauch aber fünf Euro für Ganja!“, was mir dann einleuchtet.

Hömma!“ brüllt Anatol, der 50-jährige Altpunk durch den Hausflur. Ich erstarre, weil Sätze, die mit „Hömma!“ anfangen, dauern bei Anatol Stunden und enden in endlosen Jeremiaden darüber, dass man von Hartz4 nicht leben kann. Wovon ich leben muss, verschweige ich, ganz verarmter Adel mit Stock im Arsch, aufs Vornehmste. Wäre ja obszön irgendwie.

„Ich, ähm“, sag ich, „ich hab ma den Pitti im Hof geparkt. Schieb’tn scheiße schwarzen Blues wieder wegen Elly.“ Anatol nickt verständig und sinnig. „Kannze ma’n Auge drauf haben?“ Anatol nickt noch mal, gerade hinreichend beflissen. Okay, soll mir genügen. Ich geh mit, na, mit wem wohl? Mit meinem Gewissen ins Bett. Heißes Paar, wir beide. Wird wieder klasse Nacht.

Und? Oben in der Klause? Welche Musik jetzt zur Nacht? Tom Waits? Frankie Miller?  Tim Harding? Nee, wär alles Klischee. Bei mir muss es anti-zyklisch und kontrafaktisch klingen. Zu den heroisch-pathetischen, erz-verlogenen Klängen von Hanns Zimmers „Pirates of the Carribean“ stapfe ich ins Bett. Ich liebe das Stück. Es klingt, als könne man komplett neben der Spur sein und trotzdem ein Held: Damm-tatta-da-dam, dam-tatta-da! – Grandios, oder? Irgendwie?

Hömma, reetma annstänniches Deutsch!

19. September 2009
Foto 120

"Gee ma nach dä Leerer hin, den Kraska, weisse, der tut dich ma richtichet Deutsch beibring!" (Kraska reloaded, mit Hartzeichner)

Hömma, lezze Tage waretja schomma bisken heabslich, et waa dauernd am fisseln  oda sogaa am pläästern, et wuhrt iarnxwie schon so kühl, weisse, also gezz nich direkt kalt, datt nich, nä, aber doch, womma sagn, bisken usselig, weisse, da konnze aams gut schomma n Jöppchen überziehn, dattatich nich frieat. Aba, kumma, gezz seit heut Moagn isset wieda so, dasse fass denkn kannz, dä Sommer wä nomma am Zurückkommen. Ettis ja auch Altweiba, also gezz nich von Kaanewaal der Donnerstach, wo die Weiber am Saufn unn die Keahle am Anbaggern sinn, oda die ihre Schlipse abschneidn, sondern ehmd dieset wuundaschöne Spätwetter, die Ammis, habbich maa gehört, tun dat angehblich Indiana-Sommer nennen. Mia is dat blooß recht, weisse, weil, Mopped is immanoch inne Werkstatt am repariat wern, schon zwei Taage am Stück, und ich muß donnoch dringt nachm ALDI, Frischbiah holen für Fuußball nachher, verstehsse, da sitz ich mipm Achim und seim Schwager vor dä Fernseher, unn gezz kannisch dat allet zufuuß schleppn, boah weisse, dat ganze Diebels für drei Mann und noch von diese Kaattoffel-Tschips, und, Keahl! die Frau will ja aunoch nach dä Arzt, weil die wieda so Last mittie Beine hat wie vories Jaa, kompt von dat ewige Stehn im Laadn, weisse, und denn tuusse dich als Schuhfachverkäuferin ja au stännich bücken und bis am Kriechn vor die Kunden, dat geht natüalich orntlich int Kreuz, da kannze gaa nix machen. Schuhe verkaufm ist auch nich besser als wie Beeachmann aum Pütt, sacht die Frau immer. Is eintlich wat dran, oda… oh… –

Kumma, da drüüm geht der olle Mufti hia von die Moschee umme Ecke, du, dattis isn ganz dolla, dat sachich dia! Guck dich den sein Baat an, do! und dieset Turban-Gedöns! Nä geh mich wech mit soon Scheiß, du. Verstehsse, ich pasöhnlich hab gezz nix gen die Türken oda so, aba hömma, unta uns, isch trau die Brüda nich! Dieset ganze Reeljonsgedööns, Mensch. Als ich no’ aum Pütt maloocht hab, da waan die Brüder immer einen Monat zu nix zu gebrauchen, weil die da wieda am Hungan waan, wegen der Rammedam, dattis dene ihre Zwanxfasterei, weisse. Da düüafn die ganzn Tach nix essen und trinken, auch sonst praktisch nix, keine Zichten und mit die Alte poppen ist aunich! Gestern habbich noch zu den bekloppten Memmmed vone Bude gesaacht: Na, ihr bescheuerten Ramedanea, machter wieda Hungerkur unn dann die ganzze Nacht wieda am Futtern, ia Bescheuertn! Nä, is aba bloß Spaaß, weisse, dat weiß der Memmmed auch. Ich uutz den manchma bisken, aba wenn die denen ian Zuckertach haam, sach ich schon auch Froo’et Fest zu die Nachbarn, nä?*

Ruhrdeutsch – einige Zeit hat man gerätselt, ob das jetzt ein Dialekt ist, ein Soziolekt oder einfach bloß falsches Deutsch. Jetzt hanben sich die Linguisten darauf geeinigt, daß es sich um einen Regiolekt handelt. Übrigens, ein weiteres Gerücht ist auch falsch: Ruhrdeutsch nicht nicht aus der Kreuzung von Deutsch, Polnisch und Rotwelsch entstanden, sondern es handelt sich um ein Gemisch und Gemenge zweier niederdeutscher Sprachformen – im Westen des Niederheinischen, im Osten des Ruhrgebiets des Westfälischen. – Auf der informellen Hausversammlung bei mir vorm Haus im Viertel hört sich das wie oben.

*Wers braucht, hier die hochdeutsche Übersetzung:

Hör mal , in den letzten Tagen war es ja schon einmal ein wenig herbstlich, dauernd nieselte es oder es regnete sogar stark und es wurde irgendwie schon so kühl, also nicht wirklich kalt, das nicht, nicht wahr, aber doch frösteln machend, weißt du, da konntest du abends schon eine leichte Jacke überziehen, um nicht zu frieren. Aber jetzt, seit heute morgen ist es wieder so, daß man denken könnte, der Sommer sei zurückgekommen. Es handelt sich ja auch um Altweiber, also jetzt nicht den Donnerstag vor Karneval, an dem die Frauen ein Schlückchen trinken, mit den Männern scherzen oder ihnen die Krawatten abschneiden, sondern eben dieses wunderbare Spätsommerwetter, das die Amerikaner, so hörte ich, Indianersommer nennen.

Mir ist das nur recht, weißt du, denn mein Motorroller befindet sich schon seit zwei Tagen zur Reparatur in der Werkstatt, und ich muß doch zum Discounter ALDI, um neues Bier zu einzukaufen für den späteren Fußballabend, verstehst du, denn da werde ich mit dem Achim und seinem Schwager vor dem Fernsehgerät sitzen, und jetzt kann ich das alles zu Fuß besorgen, tatsächlich, weißt du, das ganze Diebels-Altbier für drei Mann und außerdem noch Kartoffel-Chips, und, ach ja! Mann! meine Frau will ja auch zum Arzt, weil sie Probleme mit den Beinen hat wie schon im vorigen Jahr. Es kommt wohl vom langen Stehen im Geschäft,weißt du, denn als Schuhverkäuferin bist du ja gezwungen, dich häufig zu bücken und vor den Kunden auf den Knien herumzurutschen, das geht dann in den Rücken, da kann man nichts dran ändern. Schuhe zu verkaufen, sagt meine Frau, ist auch nicht leichter als die Arbeit des Bergmannes im Kohlebergwerk! Daran ist schon etwas, oder? Oh, schau, da drüben geht der Geistliche der nahegelegen Moschee, du, ich sag dir, das ist ein ganz fundamentalistischer! Schau dir nur dessen Bart an und den Turban, oder wie diese Kopfbedeckung genannt wird. Nein, bleib mir vom Leib mit solchem Unfug, du! Verstehst du, ich persönlich habe nichts gegen die Türken oder dergleichen, aber höre mal, unter uns, ich hege ein gewisses Mißtrauen gegen diese Leute. Dieses ganze religiöse Getue, Mann! Als ich noch im Kohlebergwerk arbeitete, waren unsere muslimischen Arbeitskameraden in der Regel einen Monat lang zu nichts zu gebrauchen,weil sie hungerten, am Ramadan, das ist so ein Zwangsfasten, verstehst du? In jenen Tagen dürfen sie nichts essen, trinken, auch ansonsten eigentlich nichts, auch keine Zigarrette – und selbst der Austausch geschlechtlicher Zärtlichkeiten mit der Ehefrau ist ebenfalls verboten. Gestern noch habe ich (quer über die Straße brüllend) den lustig-originellen Mehmed, den Betreiber des Getränke-Kiosks, angeredet: Nun, ihr etwas fremdartigen, aber selbstverständlich respektierten Ramedaner, befindet ihr euch wieder beim Fasten und holt das Essen überreichlich des Nachts wieder nach, ihr zum Dialog herausfordernden Andersgläubigen? – Nein, aber im Ernst, weißt du, das ist nur freundliche Neckerei, dies ist auch dem Mehmet bewußt. Ich necke ihn halt gelegentlich ein wenig, aber wenn die muslimischen Mitbürger zum Abschluß des Ramadan-Monats das Zuckerfest feiern, entbiete ich diesen Nachbarn selbstverständlich auch einen besonderen Gruß und Glückwunsch, nicht wahr?